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Caffè? Si, grazie

Unser Autor liebt Italien, besonders zum Frühstück. Aber Latte macchiato? Nein, Espresso! Am besten gleich vier

Von Ambros Waibel

Vor ziemlich genau einem Jahr wohnte ich ein paar Tage in einer Pension in Reggio Calabria. Reggio erinnert mich immer an die DDR, das liegt an den zwei H: Herzlichkeit und Heruntergekommenheit (oder haben Sie an was anderes gedacht?). Ende Oktober war ich jedenfalls in der Pension der beinahe einzige Gast, ich war ja auch zum Arbeiten da. Trotzdem saß bei meinem frühmorgendlichen Aufschlagen Simone, der junge Pensionswirt, schon hinter seinem Desk im Frühstücksraum, es gab Fruchtsäfte, Kekse, cereali (Flakes und Popsartiges) und alle möglichen eingeschweißten süßen und salzigen merende. Ich sagte Buongiorno, setzte mich an mein Resopaltischchen, und Simone fragte caffè? Ich nickte, Si, grazie, und Simone schwang sich in den Nebenraum, wo der Kaffeevollautomat stand, den Simone, das hatte ich schnell verstanden, ausschließlich selbst bediente. Der Fernseher lief, wir sprachen über die aktuellen Überschwemmungen, über Kunst und Fußball und möglichst wenig über Reggio, denn wie die DDRler sind auch die Reggini immer ein bisschen traurig, wenn die Rede auf ihre Heimat kommt: Die nämlich wird von einer Mafiaorganisation namens ’Ndrangheta kontrolliert, gegen die die Stasi ein antiautoritärer Hühnerhaufen war.

Während wir plauderten, servierte mir Simone drei, vier crema-gekrönte caffè, die ich morgens brauche, um wach zu werden, ich trank dazu zwei Gläser Wasser, ein Glas Orangensaft, aß einen Keks und fühlte mich dann gezuckert und gedopt genug, um den Machenschaften der ’Ndrangheta hinterherzurecherchieren: Die klassische italienische prima colazione ist ein Frühstück für Leute, die was zu tun haben.

Von zu viel Kohlehydraten oder gar Eiweiß unbelastet kann man bei diesem Frühstück durchaus plaudern, aber klassischerweise steht man am Tresen einer Bar, es ist das Gegenteil von teutonischer Gemütlichkeit – auch deswegen, weil es in Italien meist droht zu heiß zu werden, wenn man morgens zu lange trödelt. Deswegen will auch ich jetzt zum Punkt kommen, der einige von Ihnen vielleicht schon umtreibt: Was ist denn mit dem cappuccino? Was mit dem latte macchiato? Das sind doch die morgendlichen Kaffeevariationen in Italien!

Äh, nein, stimmt nicht. Der latte macchiato ist eher was für Kinder und crucchi, wie die Deutschen liebevoll-abschätzig in Italien genannt werden. Ein Importeur hochwertigen Espressokaffees hat mir mal erzählt, wie die deutsche Gastronomie über die Vorliebe der Deutschen für Tröge voller aufgeschäumter Billigmagermilch oder deren vegane Varianten jubelt, weil sie ihnen so minderwertigen Kaffee teuer in die Schlünde schütten können. Der Importeur ging dementsprechend auch bald pleite.

Der morgendliche cappuccino hingegen – okay, das kann man schon machen, insbesondere wenn man ein Hörnchen dazu hat, ein cornetto. Vor allem eines con crema, diese tiefgelbe, sämige, zum dahinschmelzen leckere Vanillecreme, die nach Recherchen des italienischen Investigativ-TV-Magazins „report“ allerdings in der Qualität, wie sie in den Frühstücksbars ausgegeben wird, vor allem aus Margarine und Palmöl besteht und zu den Herzerkrankungen am meisten fördernden Nahrungsmitteln überhaupt zählt! Deswegen – und weil cornetti fett machen – lasse ich sie meistens schweren Herzens weg, rauche zum zweiten Espresso lieber eine leichte Zigarette und trinke anschließend ein Glas Wasser.

Der cappuccino hat aber natürlich die schöne Geschichte für sich, dass er wie das cornetto aus Wien stammt: Es handelt sich um einen verwelschten „Kapuziner“, in den man ein „Kipferl“ taucht. Nach Wien gebracht haben das alles die Türken (deswegen die Halbmondform des Kipferls!), den Kaffee in Italien verbreitet haben dann die Venezianer. 1901 lässt sich ein Luigi Bezzera die erste Espressomaschine patentieren, die mit Milchaufschäumer ausgestattet erst den modernen cappuccino möglich gemacht hat.

Ich will hier nun auf gar keinen Fall in irgendwelche kleinlichen Barista-Banalitäten abgleiten. Meine Erfahrung ist schlicht, dass 80 Prozent der ja nun nicht billigen Espressomaschinen in Deutschland so bedient werden, dass eine saure, bittere, dünne Scheußlichkeit dabei herauskommt.

Zu meinem Glück habe ich auf halbem Weg zwischen meinem Wohnort und meinem Arbeitsplatz – genauer werde ich nicht werden – einen Ort entdeckt, wo Marcello mit einer altehrwürdigen Maschine einen großartigen Espresso kreiert und ihn zum italienischen Preis von einem Euro anbietet. Dort sitze ich gegen viertel vor neun, nachdem ich als Familienvater schon einiges geleistet habe, trinke in kleinen, bewussten Schlucken, plaudere über Fußball, über Kunst und über die Überschwemmungen, die in Mitteleuropa schlicht Klima heißen. Und höchstens zehn Minuten später bin ich schon wieder weg, beschwingt und leicht auf dem Weg zur Arbeit.

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