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Trendwende verantworten

Brückenbauer Christian Lindner hat der FDP eine erfolgreiche Rückkehr verschafft. Nun geht es um die Frage, wie die Partei einen Konsens mit den Grünen schaffen kann

Aus Berlin Peter Unfried

Am Tag nach der Bundestagswahl hat Christian Lindner den politischen Marktwert der FDP weiter gesteigert. Zumindest hat es sich der frisch gewählte Vorsitzende der neuen Bundestagsfraktion nicht anmerken lassen, falls der groß angekündigte Marsch der SPD in die Opposition gegen seine Interessen sein sollte. Wenn man Neuwahlen vermeiden will, wird die FDP mit Union und Grünen in eine gemeinsame Koalition eintreten müssen. Das oft missbrauchte Wort von der staatsbürgerlichen Verantwortung ist diesmal wirklich angebracht.

Das ist eine harte Realitätszuspitzung für die FDP, die sonst erst mal einen historischen Erfolg genießen könnte: 10,7 Prozent, 70 Abgeordnete und die erste Rückkehr einer Partei in den Bundestag nach einer vollständigen Abwahl. Die Grünen und die PDS hatten zumindest einzelne Abgeordnete.

Das zentrale Wort, das Lindner seit Wochen und auch am Montag vor der Bundespressekonferenz benutzt, lautet: Trendwende. Entweder er sieht mit einer Jamaika-Koalition die Möglichkeit der Trendwende. Oder „unser Platz wäre die Opposition“, droht er. Auch dies aus staatspolitischer Verantwortung, selbstverständlich. „Nichts wäre schlimmer, als wenn eine Regierung mit neuen Farben dasselbe machen würde wie Schwarz-Rot. Das wäre ein Wählerbeschaffungsprogramm für radikale Parteien.“

Im Gegensatz zur SPD sieht Lindner den Aufstieg der autoritären Nationalisten der AfD nicht im Räumen der „linken Mitte“ begründet, sondern dass genau dort alle im Parlament vertretenen Parteien waren. In Lindners politischem Denken und Sprechen sind Union und Grüne nicht Gegenpole, sondern gehören mit der SPD zu einem nicht mehr unterscheidbaren Sozialdemokratismus, der besessen davon ist, zu regulieren, national und europäisch umzuverteilen – und der die anstehende Zukunftspolitik bei Digitalisierung und Bildung ignoriert.

Wo die größten Differenzen zu den anderen liegen, will die FDP nicht benennen. Man wolle kommende Gespräche nicht vergiften, sondern möglichst produktiv machen. „Wir werden in einer entspannten Atmosphäre sprechen, ohne rhetorische Schärfe“, sagt Lindner, „aber die Trendwenden müssen kommen.“

Im Wahlkampf hat er ein Einwanderungsgesetz als verpflichtend genannt. Nach „kanadischem Vorbild“. Das wollen auch die Grünen, wenn auch nicht so „qualitativ“ wie die FDP. Das enthält dann womöglich die „Obergrenze“, die das Asylrecht nicht haben kann. Das zweite öffnende Argument, das sowohl er als auch sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki benutzen, ist die Unterscheidung von Ziel und Weg. Soll heißen: Wichtig ist, dass Koalitionäre sich auf ein Ziel verständigen, auch wenn sie über den Weg geteilter Meinung sein sollten. Damit könnte man etwa Klima- und Energiepolitik voranbringen. Bei der EU-Finanzpolitik wird man sehen müssen, wie eine Trendwende hinzubekommen ist.

Die Frage wird auch sein, inwieweit Kubicki und gegebenenfalls auch Robert Habeck, Vizeministerpräsident der Grünen in Schleswig-Holstein, ihre Erfahrungen aus den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen im Norden einbringen können. Da geht es mitnichten um eine gern medial beschworene Männerfreundschaft. Es geht um einen professionellen, in der Sache harten, aber respektvollen Umgang auf der Grundlage, Dinge möglich machen zu wollen. Also das Gegenteil von dem, was die Grünen 2013 taten. Von ihnen als „Menschenfeinde“ oder „Klimaleugner“ einsortiert zu werden wie im Wahlkampf und noch in der TV-Elefantenrunde am Sonntagabend, da stehen nach eigenem Bekunden weder Kubicki noch Lindner drauf.

Es ist ein weiterer rhetorisch durchkomponierter Auftritt von Christian Lindner. Einerseits wird die Geradlinigkeit der neuen FDP durchargumentiert, andererseits wird man habituell dem Ernst der Lage gerecht, also der realen Verantwortung.

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