Seehofer darf weiter seehofern

Wahldebakel Der CSU-Chef schultert die Verantwortung für die krachende Niederlage seiner Partei und hört erst mal nicht auf

Aus München Dominik Baur

Es ist der Tag nach dem Beben. In der Früh kommt in der Münchner CSU-Zentrale der Parteivorstand zusammen, bespricht das weitere Vorgehen. Im Erdgeschoss, dort, wo wenig später die Pressekonferenz stattfinden wird, dort besprechen sich derweil die Fotografen: Was, wenn er nun tatsächlich zurücktritt? Welches Motiv ist denn dann bloß das Passendste? Wo postiert man sich jetzt wohl am besten?

Er, das ist natürlich Horst Seehofer. Und, nein, er tritt nicht zurück. Noch nicht zumindest. Doch allein, dass man nun darüber nicht nur Witze reißt, sondern offen spekuliert, ist neu. Das gab es schon seit Jahren nicht mehr. Bei der Vorstandssitzung wurden dem Vernehmen nach auch keine Rücktrittsforderungen an den CSU-Chef laut. Der soll die Runde zwar gefragt haben, ob jemand dagegen sei, dass er weitermache, es habe sich aber dann niemand gemeldet.

Seehofer tritt schließlich mit fast zwei Stunden Verspätung vor die Presse. An seiner Seite: der über die Landesliste gescheiterte CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann und Generalsekretär Andreas Scheuer. Man habe sehr intensiv über das Wahlergebnis diskutiert, berichtet Seehofer. Das Ergebnis: Man sei sich einig, dass die Wahlniederlage eine „herbe Enttäuschung“ gewesen sei, ein „Weiter so!“ sei nicht möglich. Die CSU wolle die Überwindung der Spaltung in der Gesellschaft. „Wir sagen den Wählern: Wir haben verstanden.“

Zunächst wolle die CSU nun mit der CDU eine Diskussion über den Stand der Union führen. Erst dann könne es Sondierungen mit anderen Parteien geben. Schon am Wahlabend hatte Seehofer angekündigt, dass die CSU in einer Regierung auf die kompletten Forderungen ihres Bayernplans bestehen werde, also auch die Obergrenze. Bloß: CDU, FDP und Grüne sind strikte Gegner der Obergrenze.

Wie das nun anders als eine Absage an eine Regierungsbeteiligung zu verstehen ist – das vermag Seehofer nicht zu erklären. Auch wenn er es genau nicht so verstanden haben möchte. Noch einmal zur Erinnerung: Die CSU ist künftig die kleinste Partei im deutschen Bundestag, sie wäre folglich auch der kleinste Partner in einer Koalition. Im Jamaika-Bündnis wäre sie zudem die Partei, die bei der Wahl die allergrößten Verluste eingefahren hat – und das schlechteste Ergebnis seit 1949. „Nicht schön“ nannte Seehofer das Ergebnis am Sonntagabend. Stärker können Untertreibungen kaum sein.

Wer künftig für die CSU in einem Jamaika-Kabinett sitzen könnte, das ist völlig offen. Ob der jetzige bayerische Innenminister Joachim Herrmann unter den aktuellen Bedingungen noch das Bundesinnenministerium übernehmen kann und will? Fraglich. Da die CSU keine Überhangmandate ergattern konnte, wird Herrmann, der nur auf der Liste kandidiert hatte, nicht in den Bundestag einziehen – eine schlechte Ausgangsposition. Der bisherige Entwicklungsminister Gerd Müller gilt immer noch als aussichtsreicher Kandidat für einen Ministerposten, auch Generalsekretär Andreas Scheuer. Und natürlich Seehofers „guter“ Geist aus Amerika: Karl-Theodor zu Guttenberg. Den Landesgruppenvorsitz soll Nochverkehrsminister Alexander Dobrindt übernehmen.

Natürlich ist auch die Frage nach dem CSU-Parteivorsitz und dem Posten des bayerischen Ministerpräsidenten nur aufgeschoben. Die CSU ist eine Partei, in der Traditionen für gewöhnlich hochgehalten werden. Doch mit einer alten Parteitradition wollte Seehofer eigentlich brechen: Als erster Ministerpräsident und Parteivorsitzender wollte er einen geordneten Übergang in die Wege leiten – und bei dieser Gelegenheit auch noch einen Nachfolger, den ungeliebten Markus Söder, verhindern. Doch dann hat er diesen Übergang lange hinausgezögert. Zu lange, meinen viele nach dem desaströsen Wahlergebnis vom Sonntag. Über Jahre galt Seehofer als einziger Garant für den Erfolg der CSU, ein Sturz war daher undenkbar. Diese Zeiten sind vorbei.

Bei der Vorstandssitzung am Montag hat auch ebenjener Markus Söder, seines Zeichens bayerischer Finanzminister, mit am Tisch gesessen. Bei seiner Ankunft hat er noch vernehmen lassen, dass man „ganz logischerweise nicht zur Tagesordnung übergehen kann, insbesondere deswegen, weil wir nächstes Jahr die Landtagswahl haben“. Von „Hauruck- und Schnellanalysen“ halte er aber nichts, beeilte Söder sich hinzuzufügen. „Man muss, glaube ich, auch jetzt sehr in die Partei hineinhorchen, die Stimmung der Basis aufnehmen.“ Was er dort in der Partei zu hören hofft, darüber muss man nicht lange spekulieren.

Szenarien für den ungeordneten Übergang werden bereits durchgespielt. Zum Beispiel dieses, das die Süddeutsche Zeitung in der CSU vernommen haben will: Seehofer bleibt zwar noch bis 2018 Ministerpräsident, Söder übernimmt allerdings schon beim Parteitag im November den CSU-Vorsitz und zieht im nächsten Jahr als Spitzenkandidat in den Wahlkampf.

Zunächst ist es freilich nicht nur nötig, in die Partei zu horchen, sondern auch in die bayerische Wählerschaft. Für die 12,6 Prozent, die die AfD hier einfahren konnte, will niemand aus der CSU auch nur ansatzweise eine Erklärung liefern. Stattdessen forderte Seehofer gestern, dass die CSU künftig „national orientierten Menschen“ eine Heimat geben müsse.