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Vom Punk-Accessoire zum Reihenhaustier

TIERSCHAU Ratten werden mehr gehasst als geliebt: Das Museum Hameln rettet jetzt ihre Ehre

Ratten im Museum – das dürfte der Albtraum von Ausstellungsmachern und Besuchern sein. Nicht so in Hameln, wo das örtliche Museum ab sofort 14 lebende Farbratten in einem Gehege zeigt. Sie sind Teil einer Ausstellung, in der es um die Ratte aus natur- und kulturwissenschaftlicher Sicht geht und in der es auch Tipps für den richtigen Umgang mit ihr gibt. „Wir rücken ein Tier mit einem schlechten Ruf in den Mittelpunkt, das wir auch mit seinen positiven Seiten wie dem ausgeprägten Sozialverhalten zeigen“, sagt Museumsleiter Stefan Daberkow.

Wilde Ratten fressen eingelagertes Getreide, verunreinigen Lebensmittel mit ihren Exkrementen und übertragen so Krankheiten, verursachen zudem durch angenagte Kabel Bauschäden. Oft ist der Mensch Schuld an einer Rattenplage, wenn Essensreste in die Toilette gekippt werden oder auf dem Kompost landen.

Gleichzeitig werden gezüchtete Wanderratten immer beliebter. Sie gelten als niedliche und intelligente Haustiere, die gern Kontakt zum Menschen haben und sehr gesellig sind – im großzügigen Ausstellungsgehege liegen sie meist dicht gedrängt neben- und aufeinander.

Texttafeln weisen darauf hin, dass sie auch Arbeit verursachen, denn sie brauchen täglich Auslauf unter Aufsicht, damit sie in der Wohnung kein Chaos anrichten. „Wir geben die Ausstellungstiere an Interessierte kostenlos ab, wobei mindestens drei Ratten abgenommen werden müssen, denn Ratten wollen nicht alleine leben“, sagt Daberkow. Ein Weibchen kann pro Jahr mehrere Tausend Nachkommen haben – wegen der großen Fruchtbarkeit werden in Hameln nur männliche Tiere ausgestellt.

An einer Station geht es um Tierversuche an Ratten, an einer anderen kann man sich in Romane wie „Die Rättin“ von Günter Grass oder „Die Pest“ von Albert Camus vertiefen, an einer dritten in das Kostüm eines Rattenfängers schlüpfen. Der Zeichentrickfilm „Mein Freund, die Ratte“ wird präsentiert, nebenan gibt es 200 Jahre alte Rattenfallen und die Grafik „Der Rattengiftverkäufer“ von Rembrandt aus der Zeit um 1630.

„Wir geben die Ausstellungstiere an Interessierte kostenlos ab, wobei mindestens drei abgenommen werden müssen, denn Ratten wollen nicht alleine leben “

Stefan Daberkow, Museumsleiter

Eine besondere Rolle spielt die Sage vom Rattenfänger von Hameln. Nach dieser Überlieferung befreite ein Rattenfänger im Jahr 1284 die Stadt von einer Rattenplage, in dem die Tiere, von der Musik des Flöte spielenden Rattenfängers angelockt, hinter ihm herzogen und in der Weser ertranken. „Ratten können schwimmen. Es gibt auch keine Hinweise auf eine Rattenplage in Hameln. Das Ganze ist eine historische Fiktion“, sagt Daberkow.

Eine einträgliche Fiktion – seit 1956 zieht das Rattenfänger-Freilichtspiel sonntags Touristen an, mittwochs wird das Musical „Rats“ geboten, die Sage steht auf der deutschen Liste fürs immaterielle Unesco-Kulturerbe. Daberkow: „Immer, wenn irgendwo eine Rattenplage ausbricht, rufen Journalisten in Hameln an und berichten über die Stadt. Das ist gute Werbung.“

Joachim Göres

Museum Hameln, Di–So, 11–18 Uhr. Bis 8. April 2018

Rattenfreunde treffen sich in Bremen, Hannover, Hamburg und Neumünster. Infos unter www.vdrd.de

In Osnabrück hilft das Rattenwerk bei Rattensuche und Urlaubsbetreuung. Infos unter: www.rattenwerk.de

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