: Als Braunschweig Geschichte schrieb
FRITZ BAUER Eine Ausstellung erinnert an den Remer-Prozess, in dem ein deutsches Gericht erstmals den Widerstand gegen Hitler juristisch legitimierte
Eine Ausstellung über einen Gerichtsprozess ist eher ungewöhnlich und ungewöhnlich ist auch das Interesse daran: Seit 2012 haben mehr als 50.000 Menschen die Ausstellung „Der Prozess um den 20. Juli 1944 – Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer und die Befreiung vom Stigma des Landesverrats“ in Gerichten in Braunschweig, Hamburg, Stade, Bremen, Oldenburg und Schleswig besucht, die jetzt an ihrer letzten Station im Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte der TU Braunschweig (IBR) zu sehen ist.
„Besucherzahlen sagen nicht viel. Wichtiger sind die vielen positiven Rückmeldungen und das Interesse am Remer-Prozess – ein Prozess, der bundesdeutsche Rechtsgeschichte geschrieben hat und über den selbst viele Juristen bis vor Kurzem kaum etwas wussten“, sagt IBR-Leiter Gerd Biegel, der die Ausstellung initiiert hat.
In dem Verfahren ging es um Otto Ernst Remer, der als Kommandeur des Wachbataillons „Großdeutschland“ maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstands gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war. Als Funktionär der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) hatte Remer 1951 die Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg als vom Ausland bezahlte Hoch- und Landesverräter beschimpft.
Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) hatte deshalb wegen Verleumdung der Widerstandskämpfer Strafantrag beim Landgericht Braunschweig gestellt. Der zuständige Oberstaatsanwalt wollte die Klage nicht annehmen. Damit lag er auf einer Linie mit den Juristen, die bis 1945 selbst noch Urteile im Dienste der Nationalsozialisten gefällt hatten. So hatte das Landgericht München 1951 die Todesurteile gegen Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi, Wilhelm Canaris und andere Widerstandskämpfer aus dem Kreis des 20. Juli bestätigt, da ihre Taten nach NS-Recht den Tatbestand des Hoch- und Landesverrats erfüllten.
Auf Initiative des Braunschweiger Generalstaatsanwalts Fritz Bauer wurde der Prozess gegen Remer wegen übler Nachrede schließlich doch 1952 aufgenommen. Remers Anwalt argumentierte, alle Soldaten seien durch ihren Eid auf Adolf Hitler zu unbedingtem Gehorsam ihm gegenüber verpflichtet gewesen. Bauer betonte dagegen, dass ein Eid auf eine Person unsittlich sei. Er folgerte in seinem einstündigem Plädoyer, das sich die Besucher der Ausstellung anhören können: „Am 20. Juli war der Krieg endgültig verloren; der Sachverständige Professor Dr. Schramm hat dies bestätigt. Am 20. Juli war das deutsche Volk verraten, verraten von seiner Regierung und ein total verratenes Volk kann nicht mehr Gegenstand eines Landesverrats sein.“ Bauer formulierte einen Satz, der in den Ohren der meisten deutschen Juristen ungeheuerlich klang: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr gemäß §53 StGB.“ Remer wurde schließlich zu drei Monaten Gefängnis verurteilt – erstmals nannte ein deutsches Gericht das NS-Regime einen Unrechtsstaat und erkannte die Rechtmäßigkeit des Widerstands vom 20. Juli an.
„Der Remer-Prozess hat die Grundlage für den Auschwitz-Prozess in den 60er-Jahren geliefert“, sagt Biegel. „Ich freue mich, dass Bauer durch die Ausstellung wie auch durch verschiedene Filme und Bücher wieder mehr Menschen ein Begriff ist.“JOACHIM GÖRES
Zu sehen bis Ende des Jahres im IBR, Fallersleber-Tor-Wall 23, montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Für Anfang 2018 plant das IBR eine Schrift mit den Ausstellungstexten und -bildern, mit dem Schlussplädoyer Bauers im Remer-Prozess.
An diesem Sonntag, 24. September, zeigt der SWR/SR um 22.50 Uhr „Die Akte General“, einen Spielfilm über Fritz Bauer von 2016.
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