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Immer auf die Kleinen

SONSTIGE PARTEIEN In einer Dokumentation stellt die ARD kleine Parteien vor – und zieht sie durch den Kakao

Angela Merkel beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt: Begegnung mit den BürgerInnen samt Handy Foto: Christian Thiel

BERLIN taz | Bei Menschen, die schon länger im Fernsehen zu tun haben, ist es häufig schwer auszumachen, ob die gezeigten Emotionen echt sind oder nur der Szenendramaturgie dienen. Wenn Julia Lehmann, Reporterin des Saarländischen Rundfunks, also im Schneidersitz auf einem Teppich sitzt und ungläubig auf den orange gekleideten Yogalehrer mit Rauschebart neben ihr schaut, ist kaum auszumachen: Ist sie wirklich von dessen Auftreten irritiert? Oder möchte sie den Zuschauern nur vorgeben, wie dieser Mensch zu beurteilen ist? Der Yogalehrer heißt Michael Moritz und ist Vorsitzender der spirituellen Kleinpartei „Menschliche Welt“. SR-Reporterin Lehmann hat ihn für die zweiteilige ARD-Reportage „Wahl 2017: Die kleinen Parteien“ besucht, deren zweiter Teil zu später Stunde am Montag im Ersten lief.

Im Team mit Andreas Neumann von Radio Bremen hat Lehmann die Bundesrepublik auf der Suche nach Kleinparteien bereist. Man muss kein Anhänger dieser Parteien sein, um ihre Anliegen respektvoll zu würdigen. Den ARD-Reportern scheint es aber vor allem darum zu gehen, die Aktivisten kamerawirksam durch den Kakao zu ziehen.

Und so sitzt die Reporterin zwischen sonderbar gekleideten Hippies. Aus dem Off sagt die Reporterin: „Dass manche ihre friedliche Yoga-Philosophie seltsam finden, ist den Mitgliedern klar.“ Wobei unklar bleibt, wer genau eine Partei seltsam finden soll, von der die meisten Wähler noch nie etwas gehört haben. Versteckt die Reporterin hier bloß ihre eigene Meinung?

Lehmanns Kollege Andreas Neumann gibt sich stellenweise demonstrativ desinteressiert an seinen Gesprächspartnern. Als Nicole Angerstein von der Magdeburger Gartenpartei schildert, wie ihre Parzelle für ein Infrastrukturprojekt eingeebnet wurde, zoomt die Kamera weg von der Interviewten auf den Reporter und dessen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Die Gartenpartei wendet sich gegen Bebauungspläne für Kleingartenanlagen. Das muss niemand für politisch relevant halten, aber warum sucht Neumann die Kleingärtner dann auf?

Schon mit der Inszenierung der Interview-Termine machen die beiden Reporter klar, dass sie an einer inhaltlichen Auseinandersetzung nicht interessiert sind. Vertreter der Bayernpartei müssen ihr Wahlprogramm im Wirtshaus bei Weißbier vorstellen, obwohl sie mehrfach dagegen protestieren, auf derlei Klischees reduziert zu werden. Piratenpartei-Chef Patrick Schiffer wird zu einem Interview in Campingstühlen auf dem Vorplatz des Berliner Abgeordnetenhaus geladen. Der Reporter sagt dazu süffisant: „Wir hätten ja gerne dort drinnen mit ihnen diskutiert“, um sich danach darüber lustig zu machen, dass den Piraten 2016 der Wiedereinzug ins Landesparlament nicht gelang.

Vertreter der Bayernpartei müssen ihr Wahlprogramm im Wirtshaus vorstellen

In der raschen Abfolge kurzer Segmente fehlt auch leider Zeit zur Reflexion über Sinn und Unsinn kleiner Parteien. Man kann sich darüber streiten, ob die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), die chinesische Regimekritiker für Agenten des US-Außenministeriums hält, die Demokratie bereichert. Doch häufig treffen monothematische Parteien auch den Zeitgeist und verbreitern den Diskurs. Das Bedingungslose Grundeinkommen, für das sich das gleichnamige Bündnis einsetzt, genießt eine hohe Popularität in Deutschland. Außerdem sind kleine Parteien ein Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements. Dafür sollte man ihnen zumindest ein wenig Respekt entgegenbringen.

Jörg Wimalasena

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