: „Ein Eindruck davon, was Massensterben bedeutet“
Erinnerung Sie stehen rum, aber es wird nicht viel mit ihnen gemacht. Im ersten Teil der taz-Serie über Bremer Kriegs- und Denkmäler spricht Arie Hartog, Kunsthistoriker und Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, über Ernst Gorsemanns Kriegerehrenmal auf der Altmannshöhe
taz: Herr Hartog, es ist schon seltsam: Das Kriegerehrenmal von Ernst Gorsemann steht mitten in der Stadt, kommt aber weder auf Fotografien noch in den aktuellen Debatten vor. Als sei es der Stadt etwas peinlich. Manche fordern sogar den Abriss, weil es militaristisch sei. Soll man es abreißen?
Arie Hartog: Nein. Nie.
Das müssen Sie erklären.
Der Bau von Gorsemann ist höchst bemerkenswert und man sollte da mehr drüber nachdenken, worum es sich dabei eigentlich handelt. Er ist höchst rätselhaft, und immer wieder geschieht es, dass Leute davor stehen bleiben und sich aus ganz unterschiedlicher Perspektive heraus fragen, was das denn jetzt eigentlich ist.
Was ist es denn?
Es geht auf die Idee zurück, für die toten Weltkriegssoldaten von Bremen eine Erinnerungsstätte zu schaffen. Aus dieser Idee ist dann dieses von Bremer Bürgern finanzierte Denkmal entstanden. Das Mal ist eindeutig militaristisch, es entstammt der deutschen Militärtradition, keine Frage. Es wurde im NS bei Veranstaltungen genutzt, auch das ist unstrittig. Ein Nazidenkmal aber ist es nicht. Die Jungs hätten lieber etwas Größeres gehabt für ihre Masseninszenierungen. In den Dreißigerjahren wurde über den Bau breiter Treppen runter zur Weser diskutiert.
Für Messen war der offene Rundbau geeignet.
Genau, es ist semireligiös. Das hat es mit der Böttcherstraße, die in Bremen als Märchenstraße verklärt wird, gemeinsam. Deutsch ist ja, dass man tief fühlt, und in Gorsemanns Dom kann man so unglaublich tief fühlen, das war die Überlegung. Dafür spricht auch die pathetische Inschrift, durch die die Toten zu uns sprechen. Eine Besonderheit ist der nachträglich erst hinzugefügte Altar.
Warum dieser Altar?
Dieser Altar ist konfessionsübergreifend. Gorsemann hat einmal gesagt, er sei ungeachtet ihrer religiösen Zugehörigkeit für all die Menschen, die auf dem Altar der Kriege für Deutschland gestorben sind. Das galt auch für die jüdischen Gefallenen. Wohlgemerkt: Die Nazis waren da bereits an der Macht. Für den bürgerlichen Gorsemann spielte Rasse im Sinne des NS keine große Rolle.
Wie sind die Nazis mit den jüdischen Namen umgegangen?
Das ist eine interessante Frage, der man mal nachgehen sollte. Jedenfalls findet man dort noch heute Namen, die jüdisch sein könnten.
Ist nicht auch die Stapelung von Opfergruppen seltsam? Nach den Gefallenen des ersten Weltkriegs kamen die Korpssoldaten, die an der Zerschlagung der Bremer Räterepublik beteiligt waren, hinzu. Wenn man sich diese wenigen Namen anschaut, die an den Rand der Denkmalsmauer angebracht sind, wirkt es wie ein „und noch die“. Gar nicht mal verschämt, sondern aus dem Pflichtgefühl heraus, neue Gruppen Gefallener, die ideologisch passen, eben auch bedienen zu müssen.
Das ist allerdings etwas, das einem Kriegsdenkmal traditionell widerfährt. Wenn man in Frankreich über die Dörfer fährt, sieht man Erste-Weltkriegs-Denkmäler, denen links eine Plakette für den Zweiten Weltkrieg, rechts eine für Algerien und hinten eine für Indochina anmontiert wurde.
Und ähnlich setzt sich die Sammlung der aufgeführten Opfergruppen an Gorsemanns Denkmal zusammen?
In der Tat. So hatte man dort auch die Namen der in den Dreißigerjahren bei Straßenschlachten umgekommenen SA-Leute untergebracht. Nach der Restaurierung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Mals wurden dann die Namen der gefallenen Wehrmachtssoldaten abschließend ergänzt.
Die SA wurde doch aber wieder rausgenommen?
Ja, gleich nach dem Wiederaufbau des Mals nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann daran sehen, dass sich die Definition dessen, was zur Nation gehört und was nicht, überhaupt die Vorstellung davon, was Nation ist, sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts dauernd verschiebt. Dieses Denkmal ist zwar immer noch „für unsere Soldaten“, aber wer sind eigentlich „unsere Soldaten“? Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Idee eines Soldatendenkmals im Grunde obsolet, weil sie ihre Opferhoheit, die sie nach dem ersten noch hatten, eingebüßt haben. Allein der legitimatorische Satz „Ihr seid für uns gestorben“ hat keine Gültigkeit mehr in der nationalen Erzählung. Eingelöst wird dies etwa im „Trauernden Engel“ von Gerhard Marcks in Köln. Er ist universell und trauert um alle. Das ist keine Soldatenikonografie mehr.
Aber manche dieser „Opfer“ sind doch eigentlich Täter.
Ja, natürlich. Dieser Gedanke entwickelte sich aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei Kurt Tucholsky findet sich das früher: „Soldaten sind Mörder“.
Hat es Versuche gegeben, das Denkmal umzuwidmen?
In den Achtzigerjahren hat die Kulturbehörde einen Wettbewerb für Änderungen an dem Bau ausgeschrieben. Das haben die Nachfahren von Gorsemann aber mit Hilfe des Urheberrechts unterbunden. Es handelt sich um ein Kunstwerk, und man kann nicht ohne Weiteres daran etwas ändern.
Erklärt sich die Haltung der Familie künstlerisch oder politisch?
geb. 1963, promovierte im niederländischen Nijmegen über „Moderne deutsche figürliche Bildhauerei“. Seit 1996 Kustos am Gerhard-Marcks-Haus, bis er 2009 zum Museumsdirektor berufen wurde.
In erster Linie war es ein psychologischer Grund, die Kinder wollten nicht, dass ihr Vater als Nazi abgestempelt wird.
Und dann blieb das Denkmal unangetastet?
Vor rund fünf Jahren wurde eine Tafel angebracht, die die Geschichte des Baus offenlegt. Das finde ich sehr gut. Dies geschah in Abstimmung mit dem Gerhard-Marcks-Haus, dem Amt für Denkmalpflege und dem Staatsarchiv. Die Tafel ist ein Konsensprojekt.
Welchen Nutzen hat solch ein Denkmal für das Geschichtsbewusstsein in dieser Stadt?
Den hat ein Denkmal nie, wenn nichts damit gemacht wird.
Das ist hier der Fall. Das Mal wird tapfer ignoriert.
Auf der anderen Seite hat es seine ästhetischen Stärken. Es vermittelt durch die große Menge an Namen einen Eindruck davon, was Massensterben bedeutet. Das ist eine sehr starke Botschaft. Das Vietnam-Denkmal in Washington wird dafür immer gelobt, na ja, das gab es in Bremen schon früher.
Interview Radek Krolczyk
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