: Wahlkampf wird Bildungskrieg
Vor der Selbstauflösung kloppen sich Niedersachsens Landtagsabgeordnete verbal, um die Wahlkampf-Fronten abzustecken. Klar im Fokus: die Schulpolitik
Und während die großen Systemfragen derzeit keine Konjunktur haben, bieten sich zahlreiche andere Anknüpfungspunkte: Die Umsetzung der Inklusion bereitet Schwierigkeiten, die Pensionierungswelle hat ihren Höchststand erreicht – und bundesweit wird schon jetzt der LehrerInnenmangel für viele WählerInnen spürbar. Laut statistischem Bundesamt war die SchülerInnenzahl im Schuljahr 2016/2017 in ganz Deutschland um 0,3 Prozent erstmals in diesem Jahrhundert im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge Anzeichen einer echten Trendumkehr – die ohne Gegenmaßnahmen bis 2025 dazu führen würde, dass allein an den Grundschulen 25.000 Lehrkräfte fehlen.
Die langfristigen Prognosen hatten bis dahin stets das Gegenteil erwarten lassen. Wenn aber dort, wo mit einer demografischen Rendite gerechnet wird, stattdessen ein Mehrbedarf auftritt, entstehen sofort Lücken: Um die kurzfristig zu schließen, hatte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) verstärkt auf Abordnungen von GymnasiallehrerInnen an Primarschulen gesetzt (taz berichtete): Bei denen fehlen die LehrerInnen zuerst. Bloß: Mit Notlösungen wird niemand glücklich. Und wer die Unzufriedenheit an den Schulen in Wählerstimmen ummünzen kann, hat im Oktober allerbeste Chancen.
Entsprechend versuchte die Opposition die Gunst der Aktuellen Stunde zur Abrechnung mit Heiligenstadt zu nutzen – garniert mit durchaus persönlichen Angriffen: Sie sei „an ihrer Unfähigkeit gescheitert“, attestierte ihr CDU-Bildungspolitiker Kai Seefried. Stefan Birkner, Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP diagnostizierte, dass Rot-Grün „jeden Gestaltungswillen in der Bildungspolitik aufgegeben“ habe.
Wahr ist: Heiligenstadt bietet sich als Ziel an. Mit ihrem Versuch, deren Unterrichtszeit zu verlängern, hatte sie 2015 erst die GymnasiallehrerInnen und dann auch noch die GymnasiastInnen gegen sich aufgebracht und scheiterte am Ende krachend im Juni vorm Oberverwaltungsgericht. FDP-Mann Björn Försterling erinnerte zudem an die durchaus peinlichen Ermittlungen gegen den Leiter der Landesschulbehörde: 31 Polizisten und ein Peilsender waren im Einsatz, um ihn der missbräuchlichen Nutzung seines Dienstwagens zu überführen. Am Ende kam zwar ein Strafbefehl von 500 Euro für ihn raus. Verhältnismäßigkeit aber geht anders. „Sie haben diese Kultusministerin nicht entlassen“, so Försterling in Richtung Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Sie haben an ihr festgehalten.“
Das Feld birgt allerdings auch fürs schwarz-gelbe Lager Gefahren. Denn CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann war Kultusminister in David McAllisters Kabinett – und hatte damals nicht nur mit den Querelen um seine Doktorarbeit bundesweit für Trouble gesorgt. Auch seine Amtsführung war skandalisiert worden: So musste das Ministerium unter ihm für 23.000 illegal beschäftigte Honorarkräfte am Ende über zwei Millionen Euro Sozialversicherung nachzahlen.
Weniger knallig, aber für die aktuelle Lage wichtiger: seine strukturellen Entscheidungen. So war angesichts der Rechtspflicht, Inklusion zu verwirklichen, ein Mehrbedarf an Sonderpädagogen absehbar. Der Forderung, den einzuplanen, widersetzte sich Althusmann hingegen standhaft – „noch im September 2012“, wie Heiner Scholing (Grüne) erinnerte. Erst Rot-Grün habe etwas gegen diesen Fachkräftemangel unternommen, so Scholing.
Ministerin Heiligenstadt wies schließlich in ihrer Replik darauf hin, dass ihr Vorgänger sich das Husarenstück geleistet hatte, „300 Ganztagsschulen einzurichten ohne sie mit Haushaltsmitteln auszustatten“. Nicht sie, sondern „Ihr Hoffnungsträger Althusmann“ stehe in Niedersachsen für Schulchaos, sagte sie in Richtung CDU. Hoffnungsträger, das klingt nett, aber nur solange man vergisst, dass Althusmann schon im Ministeramt eher als Notnagel denn als Idealbesetzung galt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!