Der Sozi im Macchiatobezirk

WAHLKAMPF IM BIONADEBEZIRK II Wo in Berlin die netten Gentrifizierer wohnen, will Klaus Mindrup für die SPD das Direktmandat zurückerobern. Leicht wird das nicht

Der Kommunalpolitik „zutiefst verbunden“: Klaus Mindrup Foto: imago

Aus Berlin Simone Schmollack

Er ist nicht da. So geht es schon mal los. Als sich Mitte Juni in den Bürgerstuben, einer Eckkneipe in der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg, Leute treffen, um über die Zukunft ihrer Straße zu reden, fehlt Klaus Mindrup. Der SPD-Mann, gebürtige Westfale, Sozialdemokrat seit 1982, zunächst Kommunalpolitiker in Prenzlauer Berg, jetzt Bundestagsabgeordneter.

Für den Kiez hier, Hotspot der Macchiato-Mütter und Wichtigtuerschickeria, sitzt er seit vier Jahren im Parlament. Deshalb haben Mindrups Genossen, die SPD Helmholtzplatz, die Bürgerveranstaltung in der Ostberliner Nahkampfdiele – Pils, Bulette, Korn – organisiert. Es geht um eine wichtige Sache: Soll die Stargarder, eine Durchgangsachse zwischen zwei großen Alleen, zur Fahrradstraße werden? Sollen also Radfahrer Vorrang vor Autos haben? Und ausgerechnet Mindrup können die Leute dazu heute nicht befragen.

Überall im Viertel hängen seine Wahlplakate: ein freundlicher Grauhaariger mit runder Brille. Darunter ein Satz: am 24.09. beide Stimmen für die SPD. Schon klar, Fahrradstraßen im Kiez sind keine vorrangige Aufgabe für einen Bundestagsabgeordneten, das ist Lokalpolitik. Aber der „Kommunalpolitik meines Bezirks“, schreibt Mindrup auf seiner Homepage, bleibe er „zutiefst verbunden“.

Und überhaupt: Von Mindrup, dem Biologen mit Schwerpunkt Ökologie, dem früheren Umweltakteur und ADFC-Mitglied, erwartet man, dass er zur Idee der verkehrsberuhigten Stargarder was sagt. Schließlich will er von den Leuten hier wiedergewählt werden. Diesmal will er nicht nur über die SPD-Liste in den Bundestag einziehen, wie vor vier Jahren. Diesmal will er das Direktmandat holen, das schon bis 2009 in SPD-Hand war.

Ist das realistisch?

So sieht die Konkurrenz aus: Gottfried Ludewig, 34 Jahre alt und CDUler, Stefan Gelbhaar, 41 Jahre und Grüner, beide Vizefraktionschefs ihrer Parteien auf Landesebene. Und Stefan Liebig, 44, ein Urgestein der Berliner Linkspartei.

Vor allem gegen Liebich dürfte es Mindrup schwer haben. Seit 2009 hat der Linke zweimal das Direktmandat geholt. Liebich kennt man im Kiez. Das ist „so ein Netter“, hört man oft (taz vom 10. Juli). Einer, „dem man glauben kann“.

Bringen die Leute dem SPD-Mann Mindrup ebenso viel Vertrauen entgegen wie dem Linken? Kennt man Mindrup? Den Hinterbänkler, der im Bundestag durchschnittlich vier bis fünf Reden im Jahr hält?

„Nö“, sagt ein Mann mit Schirmmütze. Aber er will ihn kennenlernen. Deshalb folgt er Mindrups Einladung zu einem Kiezspaziergang; den Flyer dazu hatte er im Briefkasten. Im Sommer erklärt der SPD-Kandidat an jedem Wochenende BürgerInnen die „große Politik“ anhand des kleinen Kiezes.

An diesem Sonntag sind ein Dutzend Frauen und Männer gekommen. Mindrup, Jeans und City-Rucksack, ist gut gelaunt.Es geht von seinem Wahlkreisbüro in einer unaufgeregten Seitenstraße über eine Brauerei zum Helmholtzplatz. Der leicht erhöhte Park mit dem Spielplatz in der Mitte wurde zum Symbol der Gentrifizierung. Teure Sanierungen, Dach­ge­schoss­aus­bau­ten, Läden, die Namen tragen wie „Sexymama“ und „Glückselig“, sorgten dafür, dass die „UreinwohnerInnen“ weggezogen sind und die neuen AnwohnerInnen mittlerweile so uniform sind wie die Pionierkleidung in der DDR. Hier lebt jetzt eine perfekt ausgebildete Mittelschicht mit gutem Einkommen, mit Kindern und dem Anspruch, vegan zu leben. Paare, die ihre Wohnungen eher kaufen, statt sie zu mieten.

Mindrup beklagt eine „rasante Ent­mietung“ im Bezirk

Wie erklärt Mindrup den KiezspaziergängerInnen, dass es unsozial ist, Einkommensschwache zu verdrängen, ohne jene vor den Kopf zu stoßen, die herkommen? „Das Problem sind nicht die, die später in die Wohnungen einziehen“, sagt er. „Sondern die rasante Entmietung.“ Mindrup selbst wohnt im Kiez in einem Haus der SelbstBau-Genossenschaft, einer Mietervereinigung mit günstigen Mieten, einem Blockheizkraftwerk im Keller und einer Photovoltaikanlage auf dem Dach.

Überhaupt Genossenschaften. Eine der sozialsten Arten, zu wohnen, sagt er. Manche Leute nicken. Später wird Mindrup Geschichten erzählen über Mieter, die sich nicht vertreiben lassen und seit Jahren verklagt werden, über das Berliner Gasnetz, über Ausschreibungsmodalitäten beim Verkauf kommunaler Gebäude.

Die Sonne scheint, Mindrup strahlt, die Leute sind zufrieden.

Das Plakat mit Mindrups Konterfei, das an der Laterne direkt an der Ecke der „Bürgerstuben“ in der Stargarder Straße ein paar Tage lang Wind und Regen trotzte, ist mittlerweile abgerissen.