: Im Kampf gegen Kulturbanausen
Lüneburg Der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt setzt sich für den Erhalt des historischen Stadtbildes ein. Dabei hat er es nicht immer ganz leicht. Die allseits präsente Crew der Telenovela „Rote Rosen“ ist da noch das geringste Problem
von Lena Eckert
Im Speicher riecht es nach Holz, die Luft ist angenehm kühl. Eine schlichte Deckenlampe taucht den Raum in schummriges Licht. Vom mit Kopfsteinen gepflasterten Boden ist nicht viel zu sehen: Dicht an dicht sind hier zahlreiche Tische, Stühle, Schubkarren und Fässer aus dunklem Holz gestapelt. Ganz unten steht der Leiterwagen, weiter hinten im Raum die Bratwurststände. An der Wand lehnen alte Fenster und Türen neben Hellebarden und Stangen mit bunten Wimpeln.
Die Materialien und der Speicher gehören dem Arbeitskreis Lüneburger Altstadt (ALA). Dessen Vorsitzender Christian Burgdorff lässt einen prüfenden Blick durch den Raum schweifen. „Manchmal ist es hier aufgeräumt“, versichert er. „Aber das hängt von der Lust unserer Leute ab“, fügt er hinzu und grinst verschmitzt. Der im Jahr 1470 errichtete Speicher verbirgt sich hinter einem dunkelgrünen Tor in der kleinen Straße Am Iflock. Sie ist eng und holprig und gesäumt mit liebevoll gepflegten, alten Fachwerkhäusern – ein typisches Bild in der Lüneburger Altstadt.
Deren Erhaltung und Pflege hat sich der ALA zum Ziel gesetzt. So will er wichtige Zeugnisse ursprünglicher Bau- und Lebensweisen bewahren. Dazu gehören nicht nur die historischen Fassaden, die das Stadtbild Lüneburgs prägen. Auch Häuserkerne sind schützenswert, weil sie oftmals älter als ihre Fassaden sind. Der ALA will Häuser als Ganzes erhalten. Dazu nimmt er mit den Hausbesitzern Kontakt auf und steht ihnen bei Restaurierungen und Instandhaltungen beratend und finanziell zur Seite.
Burgdorff war von Anfang an beim ALA dabei – seit dem Jahr 1972, seit 2015 ist er dessen Vorsitzender. Er kennt die Altstadt in- und auswendig und geht kaum drei Schritte, ohne etwas zu entdecken, bei dem der ALA seine Finger im Spiel hatte. Häuserkerne, Haustüren, Fenster, Fassaden, Straßenlaternen, Straßenpflaster. „Wenn man das nicht erhält, gehen viel Atmosphäre und baugeschichtliche Zeugnisse drauf“, erläutert Burgdorff die Motivation des ALA. Letztendlich sei der Einsatz des Vereins zum Nutzen aller: „Ein guter Schuss Gemeinsinn ist auch dabei“.
Der ALA hat 600 Mitglieder. Seine Projekte finanziert er hauptsächlich mit den Einnahmen seines jährlichen Christmarkts und der zweijährlichen „Alten Handwerkerstraße“, die bei der Michaeliskirche im Herzen der Lüneburger Altstadt stattfinden. Bei diesen Veranstaltungen kommen die Geräte und Möbel aus dem Speicher zum Einsatz.
Bei der „Alten Handerkerstraße“ zeigen Handwerker in Trachten der Renaissance alte Arbeitstechniken, die auch heute noch benötigt werden – zum Beispiel, um alte Häuser zu restaurieren. „Manche gehen da richtig drin auf“, erzählt Burgdorff. „Die stehen darauf, sich mittelalterlich zu verkleiden.“ Dabei stammen die meisten der durch den ALA betreuten Gebäude gar nicht aus dem Mittelalter sondern aus der Frühen Neuzeit. „Aber das nehmen wir dann auch nicht so genau“, sagt Burgdorff. Sein Lächeln wirkt ein bisschen gequält.
Zurzeit arbeitet der ALA am Kapitelsaal des ehemaligen Michaelisklosters. Bereits im Jahr 1376 hielten Mönche dort Versammlungen ab. Nachdem seine Überreste beim Bau der Kreisverwaltung in den 70er-Jahren zufällig entdeckt worden waren, legten ihn Archäologen in umfangreichen Ausgrabungen frei. „Die Stadt wollte ihn eigentlich wieder zuschütten“, erzählt Burgdorff. Für zu teuer hätte sie seine Instandhaltung gehalten.
Im Jahr 1978 übernahmen daraufhin die Mitglieder des gerade erst gegründeten ALA um Curt Pomp die Pflegschaft der Ruine. Sie steckten eine Menge Arbeit und umgerechnet rund 80.000 Euro hinein. Sogar über eine Erneuerung des eingestürzten Daches dachte der ALA nach, musste den Plan jedoch aus Kostengründen verwerfen. Dennoch wird am Kapitelsaal regelmäßig gearbeitet: Um Wände und Boden zu erhalten, müssen ständig der Putz erneuert und das Unkraut entfernt werden.
Nicht immer wurde auf den Erhalt der Lüneburger Altstadt so viel Wert gelegt wie heute. In den 1970er-Jahren wurden viele der historischen Gebäude in der westlichen Altstadt abgerissen, um an ihre Stelle moderne Häuser zu bauen. Der damalige Vorsitzende des ALA, Curt Pomp, kämpfte lautstark gegen diese Pläne. Auch sein heute eigenes Haus konnte Pomp gerade noch vor dem geplanten Abriss retten. Es ist 541 Jahre alt. Pomp brachte 1991 die Inschrift an: „Herr schütze mich und die hier hausen vor Planern und Kulturbanausen“.
Die „Alte Handwerkerstraße“ findet alle zwei Jahre am ersten September-Wochenende statt, das nächste Mal am 1. und 2. September 2018.
Jährlich am ersten Wochenende im Dezember veranstaltet der ALA den Christmarkt an der Michaeliskirche, dieses Jahr am 2. und 3. 12.
Für am Denkmalschutz besonders Interessierte bietet der ALA gegen eine Spende Führungen an. Dabei kann auch das Innere restaurierter Häuser besichtigt werden.
Einmal jährlich bringt der Verein seine Zeitschrift „Aufrisse“ heraus.
Mehr Infos im Internet auf www.alaev-lueneburg.de
Burgdorff grinst: „Das konnte er sich damals nicht verkneifen.“ Aber der Schriftzug sei auch ein Indiz für den schweren Kampf, den der Verein zunächst führen musste, bis der Wert der alten Gebäude anerkannt wurde. Er selbst sei nicht ganz so polemisch wie sein Vorgänger, sagt Burgdorff. „Aber heute ist das auch nicht mehr so nötig. Damals mussten wir uns erst einmal Gehör verschaffen.“
Heute hat der ALA im Verkehrs- und im Bauausschuss der Stadt Rederecht. Trotzdem stößt der Verein mit seinen Anliegen nicht immer auf Begeisterung. „Wir hören immer wieder den Satz: Lüneburg ist doch kein Museum“, erzählt Burgdorff. Aber Lüneburg zu einer Touristenattraktion zu machen, ist gar nicht das Ziel des Vereins. „Wir möchten, dass die Leute hier wohnen“, sagt Burgdorff. „Wir beobachten, dass immer mehr sich hier eine Ferienwohnung kaufen und die meiste Zeit gar nicht da sind“, fügt er hinzu. „Das ist schade und bedenklich.“ Gerade bei den jüngeren Hausbesitzern fehle oftmals die Sensibilität dafür, wie wichtig das Anliegen des ALA sei.
Durch die Arbeit des Vereins ist nicht nur das Michaelisviertel sehr attraktiv geworden: Auch der Hafen Lüneburgs hat dem ALA viel seines Charmes zu verdanken. Und so ist der „Stint“ nicht nur bei Touristen und Einwohnern beliebt.
Auch die Crew der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ nutzt ihn gern als Drehort. Die sei übrigens ständig auf der Suche nach neuen Drehorten in Lüneburg für die seit mehr als zehn Jahren laufende Endlosserie, erzählt Burgdorff. Vor allem für Innenszenen sind restaurierte Häuser beliebt. Burgdorff ist davon nicht sonderlich begeistert, aber er nimmt es gelassen: „Oftmals ist da ja die Handlung nicht so prickelnd, da braucht man dann halt umso interessantere Drehorte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen