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Archiv-Artikel

Ansichtssachen im Jammertal

Hamburgs CDU ist nach dem Desaster bei der Bundestagswahl sprachlos. Die klare Mehrheit für Rot-Grün stellt die politischen Verhältnisse in Oles absolutem Stadtstaat auf den Kopf. Linke und Liberale sind mit sich selbst zufrieden

Von Sven-Michael Veit

Der Bürgermeister fand als Erster die Worte wieder. „Überrascht und enttäuscht“ sei er vom Ausgang der Bundestagswahl, gab Ole von Beust (CDU) gestern bekannt: „Das muss ich erst mal verdauen.“ Allerdings hätten die WählerInnen erfreulicherweise, so seine Analyse in eigener Sache, „Rot-Grün eine klare Absage erteilt“.

In Hamburg jedoch in erster Linie des Senatschefs Christdemokraten, wie das am Mittag veröffentlichte vorläufige amtliche Endergebnis des Landeswahlleiters zeigt (Tabelle und Analyse Seite 30). Mit lediglich 28,9 Prozent verfehlte die Hanse-CDU ihr Ziel, stärkste Partei zu werden, deutlich. Wie bisher mit vier Abgeordneten wird sie im Bundestag vertreten sein, und aus dem angestrebten Gewinn mehrerer Direktmandate in den sechs Wahlkreisen wurde ebenfalls nichts.

Im fast vollständigen Glückszustand schwebt hingegen die Hamburger FDP. Mit satten 9,0 übertraf sie selbst die kühnsten ihrer eigenen Hoffnungen. So fiel es Parteichef Leif Schrader leicht, das zweitbeste Ergebnis aller Zeiten für die Liberalen zum „grandiosen Erfolg“ zu erklären. Ein großer Wermutstropfen aber ist die Tatsache, dass es zum Regieren mit dem unerwartet schwachen schwarzen Wunschpartner nicht reicht. Da wird die FDP wohl andere Angebote sortieren müssen, will sie das Risiko einer Neuwahl scheuen.

„Optimistisch“ zieht Norman Paech gen Berlin. Knapp, aber immerhin erreichte der Spitzenkandidat der Linkspartei.PDS mit 6,3 Zweitstimmenprozenten das eine erhoffte Listenmandat. Vordringlich sei es jetzt, im Bundestag „eine überzeugende politische Alternative“ zu allen anderen zu sein und auf dem nunmehr errichteten „Sockel eines linken Projekts eine solide Partei aufzubauen“.

Auf das Herzlichste erfreut ist verständlicherweise GAL-Parteichefin Anja Hajduk. Denn die nur leichten grünen Verluste haben sie nicht um ihren Sitz im Bundestag gebracht. 14,9 Prozent reichen auch noch für ein zweites Mandat hinter dem von Spitzenkandidatin Krista Sager, der Hajduk den ersten Platz hatte überlassen müssen. Das Buhlen um rot-grüne Zweitstimmen, welches die GAL in den beiden letzten Wahlkampfwochen intensiv betrieb, hat sich ausgezahlt.

Dem nun in der Hauptstadt anstehenden Koalitionspuzzle würden die Grünen sich „nicht verschließen“, gab Hajduk kund. Sie habe allerdings keine rechte Vorstellung, „wie wir mit CDU und FDP programmatisch übereinkommen sollen“. Und mit einem Linksbündnis schon gar nicht.

So sieht das auch die SPD, die von ihrem eigenen Ergebnis in Hamburg selbst überrascht wurde. 38,7 Prozent sind mehr, als sie zu hoffen wagte, und die Verteidigung aller sechs Direktmandate – wenngleich in allen Wahlkreisen mit Verlusten – darf als Erfüllung des Wahlzieles gelten. Dies zumal, weil darin ein Überhangmandat enthalten ist, denn das Zweitstimmenergebnis hätte lediglich für fünf Abgeordnete gereicht. Die vehemente Erststimmenkampagne der letzten Wahlkampftage hat sich somit für die SPD rentiert.

Und so fällt es Parteichef Mathias Petersen vergleichsweise leicht, die dennoch nicht zu leugnenden Verluste im Stadtstaat wie im Bund zu einem Erfolg umzudeuten. Das Ergebnis zeige, dass die WählerInnen „Schwarz-Gelb verhindern und Gerhard Schröder als Kanzler behalten wollen“, interpretiert Petersen den Urnengang.

Das aber sieht Ole von Beust genau andersherum. Ist eben alles Ansichtssache.