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Spiel und Fest neu denken

Festival Markus Hinterhäuser ist der neue Intendant der Salzburger Festspiele

von Regine Müller

Mozarts „La Clemenza di Tito“ ist eine sperrige Oper. Vor 25 Jahren aber läutete Gerard Mortier seine legendäre Intendanz der Salzburger Festspiele ausgerechnet mit dem „Tito“ ein und setzte damit einen Paradigmenwechsel des Hochglanzfestivals in Gang. Einen ähnlich heilsamen Ruck erhofft man sich nun durch den neuen Intendanten Markus Hinterhäuser, der als Architekt der legendären „Zeitfluss“-Reihe unter Mortier ein Erbe dessen Denkens ist.

In Hinterhäusers Büro sieht es aus, als sei er eben erst eingezogen, die Bilder stehen auf dem Boden, auf dem Tisch thronen zwei große Aschenbecher, denn der Intendant ist bekennender Raucher. Hinterhäuser ist seit Mortiers Zeiten mit den Festspielen eng verbunden. „Mortier und sein Team haben verdeutlicht, dass die Festspiele definitiv mit Kunst und mit Reflexion zu tun haben, auch mit einer Form von Risiko und Wagnis, und vor allem mit einer Haltung.“

Während der Intendanz von Jürgen Flimm war Hinterhäuser Chef der Musiksparte der Festspiele, dann ein Jahr Interims­intendant, danach übernahm er die Intendanz der Wiener Festwochen. Er kennt also den Innovationsdruck des Intendantenamtes. „Wir sehen uns ständig der Forderung ausgesetzt, das Rad neu zu erfinden. Aber wir können es nicht neu erfinden. In letzter Konsequenz geht es um Aufrichtigkeit und Intelligenz im Umgang mit Kunst. Eine durchschaubare Pseudo-Originalität führt nicht wirklich weiter.“ Allein 85 Konzerte bietet der Spielplan des immer noch bedeutendsten Klassikfestivals der Welt, das fast ein Selbstläufer zu sein scheint. „Es gibt den Nimbus der Salzburger Festspiele. Aber wenn ich mich damit abfinden würde, dass Salzburg ein Selbstläufer ist, wüsste ich nicht, wie ich vorgehen soll.“

Hinterhäusers Programm liest sich ausgefuchst. Experimente wie etwa die Verpflichtung der iranischen Künstlerin Shirin Neshat als Regie-Debütantin für Verdis populäre „Aida“ werden für das nach großen Namen schielende Publikum interessant durch Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker und Superstar Anna Netrebko in der Titelrolle. Dem Verdacht einer strategischen Mischkalkulation solcher Besetzungskombinationen widerspricht Hinterhäuser vehement: „Es ist nicht kokett, wenn ich das sage: Ich habe wirklich keine Strategie. Eine verkaufsorientierte Strategie mit einem Stück, das mir wichtig ist, würde ich nicht anwenden. Ich habe ein hoffentlich nicht naives Vertrauen in den Anspruch, den man an ein Publikum stellen kann. Den Respekt, das Publikum ernst zu nehmen.“

Nun hat Hinterhäuser wie weiland Mortier mit Mozarts „Tito“ die ersten Festspiele seiner Intendanz eröffnet. Als Regisseur hat er Peter Sellars ins Boot geholt und ihm mit Teodor Currentzis einen radikalen Mozart-Deuter zur Seite gestellt, der mit seinen ­MusicAeterna-Ensembles aus dem russischen Perm angereist ist. Was ein Bruch mit der Tradition der Festspiele ist, deren Residenzorchester stets die Wiener Philharmoniker waren.

Auf der 40 Meter breiten Bühne der Felsenreitschule verlegt Peter Sellars das Geschehen in die Gegenwart. Der Chor ist eine dem Herrscher huldigende Flüchtlingsmasse, später ein forderndes, trauerndes Kollektiv. Sellars und Currentzis haben Rezitative gestrichen und dafür Teile aus Mozarts c-moll-Messe implementiert. Ein kühner Eingriff und eine riskante Dekonstruktion: Die Implantate erzeugen zwar einen Kurzschluss des Dramatischen – der Oper – mit dem Spirituellen – der Messe – , aber ohne dass daraus ein Gottesdienst wird. Sellars und Cur­rentzis entlarven vielmehr Herrscherlob und den Wunsch nach Befreiung als im Kern spirituelles Bedürfnis, das nur in einer ganz säkularen Humanität einzulösen ist.

Currentzis bevorzugt extrem schnelle, dann wieder bis zum Stillstand gedehnte Tempi und dirigiert einen Mozart der leisen, schmerzlichen Töne, hoch empfindsam, manchmal sogar überreizt. Es stellt sich ein existenzieller Ernst ein, eine Art höheres Verständnis von Mozarts Auftragsoper, deren Werben um Vergebung man bisher nie so recht folgen wollte. Ein starker Auftakt, der einen entschiedenen Willen zur Kunst spüren lässt.

Hinterhäuser will die Festspiele wörtlich verstanden wissen: „Die Festspielidee definiert sich durch das zusammengesetzte Wort aus Fest und Spiel. Das Fest ist eine Zusammenkunft abseits des Alltags, das einer Inszenierung bedarf. Eine Inszenierung aber bedarf des Nachdenkens! Sonst kann ein Fest auch Komasaufen sein, das ist aber nicht besonders interessant. Und auch das Spiel hat mit Denken zu tun, mit einem Vorgang, der einem mehr abverlangt als das bloße Genießen.“

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