: Autokartell: Jetzt geht’s erst so richtig rund
Autoindustrie Dieselskandal zieht weitere Kreise: Deutsche Hersteller sollen geheime Absprachen getroffen haben. Grüne Bundestagsfraktion fordert Sondersitzung des Verkehrsausschusses
Doch inzwischen regt sich Kritik, dass die staatlichen Stellen und die Autokonzerne allein miteinander verhandeln wollen. Die grüne Bundestagsfraktion fordert eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses „für Ende Juli“, um über den aktuellen Stand unterrichtet zu werden. Die Verbraucherzentralen verlangen, dass sie ebenfalls am „Nationalen Forum Diesel“ teilnehmen können.
Denn der Dieselskandal hat sich übers Wochenende ausgeweitet. Wie der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe berichtet, stehen VW, Audi, BMW, Daimler und Porsche im Verdacht, seit den 1990er Jahren geheime Absprachen getroffen zu haben. Dieses Kartell war umfassend: In über 60 Arbeitskreisen wurde detailliert über Technik, Kosten und Zulieferer verhandelt. Die Dieselabgase waren dabei nur eines von vielen Themen. Es ging auch um Cabrioverdecke, Bremssysteme oder Kupplungen.
Daher steht jetzt eine Frage im Raum, die für die Autokonzerne noch sehr unangenehm werden dürfte: Haben die Kartellabsprachen die deutschen Autos künstlich verteuert? „Die Dieselbesitzer stehen vor einem Totalschaden“, fürchtet der Chef der Verbraucherzentralen, Klaus Müller. „Sie könnten für ein womöglich unzulängliches Auto einen durch Kartellabsprachen in die Höhe getriebenen Preis gezahlt haben.“
Die fünf deutschen Autobauer haben sich bisher nicht zu dem Kartellverdacht geäußert. Sie würden sich an „Spekulationen“ nicht beteiligen, hieß es aus den Konzernzentralen. Das Bundeskartellamt wollte den Spiegel-Bericht ebenfalls nicht bewerten: „Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren.“ Auch die EU-Kommission gab keine Stellungnahme ab, sondern bestätigte nur, dass man „diesbezügliche Informationen erhalten“ habe, die „geprüft“ würden. Allerdings dürften die Erkenntnisse des Spiegels zutreffen, denn das Magazin zitiert aus einer Eigenanzeige, die VW am 4. Juli 2016 an die EU-Kommission geschickt hat. Auch Daimler habe eine „Art Selbstanzeige“ hinterlegt.
Denn am 23. Juni 2016 waren die Konzerne aufgeflogen. In einer Razzia hatte das Bundeskartellamt sechs deutsche Unternehmen durchsucht, um einem Stahlkartell auf die Spur zu kommen. Doch gaben die beschlagnahmten Festplatten und Akten nicht nur über diese Stahlabsprachen Auskunft – nebenbei fanden sich auch Hinweise auf das Autokartell.
Sollte sich der Verdacht bestätigen, dürfte es für die Autokonzerne teuer werden. Ihnen droht dann eine Kartellstrafe, die Milliarden betragen kann. Zudem könnten Zulieferer und Kunden klagen, die sich um ihr Geld gebracht sehen.
Verbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) sprach sich dafür aus, neue Klagemöglichkeiten in derartigen Massenfällen zu schaffen. Es sollte möglich sein, dass ein Verband vor Gericht zieht und ein grundlegendes Urteil herbeiführt. „Wir brauchen endlich ein Instrument, mit dem Kunden sich gegen große Konzerne gemeinsam zur Wehr setzen können, ohne ein großes Kostenrisiko einzugehen.“ Die Große Koalition hat sich allerdings nicht auf solche „Musterfeststellungsklagen“ verständigen können.
Ulrike Herrmann
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