: Merkel macht Ernst
Krise Deutschland bestellt wegen des inhaftierten Menschenrechtlers Peter Steudtner den türkischen Botschafter ein. Und Sigmar Gabriel bricht seinen Urlaub ab
von Ulrich Schulte
Man habe dem Botschafter „klipp und klar“ gesagt, dass die Verhaftungen nicht nachvollziehbar und vermittelbar seien, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Mittwoch. Die Terrorvorwürfe der Türkei gegen die Menschenrechtler seien an den Haaren herbeigezogen. Die Bundesregierung fordere die unverzügliche Freilassung und den konsularischen Zugang zu Steudtner, sagte der Sprecher.
Der Botschafter habe zugesichert, seiner Regierung die Forderung zu übermitteln. Er wisse nun, „dass es uns ernst ist“. Damit deutet sich eine Wende im Umgang der Regierung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan an.
Die Menschenrechtler waren am 5. Juli von der türkischen Polizei bei einem Workshop bei Istanbul verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Erdoğan hatte sie zuvor in die Nähe von Putschisten gerückt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Verhaftung Steudtners bereits am Dienstagabend als „absolut ungerechtfertigt“ verurteilt. Merkel hatte angekündigt, seitens der Regierung alles zu tun, „auf allen Ebenen, um seine Freilassung zu erwirken.“
Erst im Juni war gegen den Amnesty-Landesvorsitzenden in der Türkei, Taner Kılıç, Untersuchungshaft verhängt worden. Auch der deutschtürkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel und die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu Çorlu sitzen in der Türkei wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.
Im Zusammenhang mit dem Putschversuch vor einem Jahr sind nach Erkenntnissen der Regierung bisher 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden. Das geht aus einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu hervor. Neun seien im Moment noch in Haft, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes. Drei von ihnen seien ohne jede konsularische Betreuung.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte ein schärferes Vorgehen gegen Erdoğan. „Deutsche Staatsbürger laufen in der Türkei Gefahr, zu Geiseln der Politik von Präsident Erdoğan zu werden“, sagte er der Bild-Zeitung. Merkel müsse alle Maßnahmen ergreifen, um deutsche Staatsbürger zu schützen. Schulz forderte Konsequenzen für das Verhältnis der EU zur Türkei. Es mache keinen Sinn, mit der Türkei weiter über die Ausweitung der Zollunion mit der EU zu reden.
Linkspartei-Chefin Katja Kipping forderte die Regierung zum Bruch mit der Türkei auf. „Ein Partner, der deine Staatsbürgerinnen und -bürger quasi als Geiseln inhaftiert und Besuchsverbote für deine Parlamentarier ausspricht, kann kein Partner mehr sein.“
Deutschlands Beziehungen zur Türkei sind seit Monaten angespannt. Davor hatte Merkel lange Zeit auf eine Kooperation gesetzt, auch um ein Abkommen zur Flüchtlingspolitik zwischen der Europäischen Union und der Türkei zu erreichen. (Mit afp/dpa)
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