: Schmerzensgeld für Ex-DDRler
Nachwendeunrecht Die SPD will einen „Gerechtigkeitsfonds“ insbesondere für entgangene Rentenansprüche Ost ins Wahlprogramm aufnehmen
In Sachsen kursiert das Vorhaben unter dem Schlagwort „Gerechtigkeitsfonds“. Seit Jahresbeginn hat man eifrig gerührt, der Gerechtigkeitsagenda des sozialdemokratischen Hoffnungsträgers Martin Schulz diesen Ausgleich für das im Osten empfundene Nachwendeunrecht hinzuzufügen. „Ich wäre froh, wenn wir dieses Ansinnen nicht erst durch einen Änderungsantrag ins Wahlprogramm einbringen müssten“, sagt die sächsische SPD-Generalsekretärin und Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe.
Angestoßen hat diese Idee die sächsische Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping. Von einer „Zeit der Enttäuschungen und Traumatisierungen“, von „Benachteiligungsgefühlen“ sprach die Sozialdemokratin bei der Vorstellung der Idee eines Ausgleichsfonds im Februar. Rentenfragen stehen dabei im Vordergrund, aber auch Demoralisierungen von Belegschaften, die ihre von Schließungen bedrohten Betriebe zu retten versuchten.
„Wir können zumindest zeigen, dass wir die Leute ernst nehmen“, sagte Köpping damals. Denn rechtlich einzuklagen sind die Ansprüche in aller Regel nicht. Ein solcher Gerechtigkeitsfonds könnte also nur eine Art Schmerzensgeld zahlen.
Die nach Anzahl größte Gruppe, die Opfer des Rentenüberleitungsgesetzes und eines verfassungsrechtlichen Dilemmas wurde, sind die nach DDR-Recht geschiedenen Frauen. In den 1990er Jahren kursierte eine Zahl von 300.000. Das Scheidungsrecht in der DDR kannte weder eine Hinterbliebenenrente noch einen Versorgungsausgleich unter den ehemaligen Ehegatten. Die Rentenansprüche des geringer verdienenden Partners, zumeist der Frau, werden dabei um die Differenz zum Einkommen des Besserverdienenden aufgestockt. Eine solche nachträgliche Belastung aber war den DDR-Männern nicht zuzumuten, entschied das Bundesverfassungsgericht. Der Vertrauensgrundsatz und das Rückwirkungsverbot ließen dies nicht zu.
Köpping und Kolbe trafen sich mehrfach mit derart betroffenen Frauen und anderen benachteiligten Gruppen. Zum Beispiel mit den etwa 350 Überlebenden der gesundheitsgefährdenden Braunkohleveredlung in Espenhain südlich von Leipzig. Wegen der extrem gefährlichen Carbochemie wurden sie wie Bergleute unter Tage eingestuft und erhielten Zulagen, die sie in eine höhere Betriebsrente einzahlten. Doch die Bundesrepublik zahlte diese nur noch bis Ende 1996, weil eine weiterführende Regelung im Rentenüberleitungsgesetz schlichtweg vergessen wurde.
Die SPD als die neue Kümmererpartei Ost? Die sächsische Generalsekretärin Daniela Kolbe hält das Kümmern erst einmal für selbstverständliche Pflicht jeglicher Politik. „Aber bei den Gestolperten tut sie es zu wenig“, mahnt sie ihre eigene Partei. Es gefährde Demokratie, wenn Menschen sich im Stich gelassen fühlen.
Knapp 20 Problemgruppen haben die sächsischen Sozis ausgemacht. Geht es um gebrochene Biografien durch Massenentlassungen 1990/91, ist mit Geld nicht mehr viel zu helfen. Aber allein für die Milderung der Rentenverluste erwägten SPD-Kreise bei den letzten Koalitionsverhandlungen einen Fondsumfang von 500 Millionen bis zu 1 Milliarde Euro. Eine Größenordnung, die auch für den Gerechtigkeitsfonds im Gespräch ist.
Wie dieser Fonds ausgestaltet, mit welchem Aufwand Ansprüche individuell erfasst und gewährt werden sollen, bleibt möglichen künftigen Koalitionsverhandlungen überlassen. Die Annahme dieses Punkts auf dem bevorstehenden Dortmunder Parteitag gilt aber als sicher, nachdem sich auch westdeutsche Landesverbände von der erforderlicher Solidarität überzeugen ließen.
Ministerin Köpping hat außerdem erreicht, dass sich Bund und Länder auf eine gemeinsame Konferenz im Herbst in Bremen zu Ungerechtigkeiten im Zuge des DDR-Beitritts verständigt haben.
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