piwik no script img

Ihr Gesicht war eine eigene Bühne

Performance Valeska Gert (1892–1978) war Tänzerin, Kabarettistin, Schauspielerin – und eine sehr eigenwillige junge Frau. Das Kino Arsenal zeigt ab heute eine Reihe von Filmen mit der herausragenden Künstlerin

von Katrin Bettina Müller

Radau. Skandal. Polizei. Verriss. Wo sie auftrat, schlugen die Wellen hoch. Valeska Gert erzählt davon mit Genuss in ihren Erinnerungen „Mein Weg“, geschrieben 1931. „Jeden Tag spielten sich die tollsten Skandale ab. Das Publikum schrie, klatschte und pfiff, so daß wir kaum die Musik hören konnten. Es war der erste Durchbruch vom ästhetischen Tanz einer bürgerlichen Kultur zum Dynamischen einer neuen härteren Zeit“, erzählt sie von Auftritten im Kino am Nollendorfplatz, in der Pause zwischen den Filmen. Während ihre Kollegin in Ohnmacht fällt, nimmt sie „den Krach als Lebenselement“ an. „Meine Kampfeslust stieg. Ich wollte über alle Grenzen hinaus, meine Bewegungen streckten sich und wurden übergroß, mein Gesicht verwandelte sich in Masken, mein Rhythmus wurde knallig, bis ich wie ein Motor stampfte. Ich schien ‚grotesk‘. Die Leute schrien.“

Geboren 1892 in Berlin, gilt Valeska Gert bis heute nicht nur den Grotesk-Tänzern als Ikone und berühmte Vorgängerin. 2010 erschien ein Buch von Wolfgang Müller, der in ihrer „Ästhetik der Präsenzen“ eine Kraft und eine detailliert ausgearbeitete Kunst entdeckte, von der er viele Verbindungslinien zu Happening und Performance, zur Geräuschmusik, zu Punk und zum Genialen Dilettantismus seiner eigenen Kunst zog. Er wird mit einem Vortrag dabei sein, wenn das Kino Arsenal am heutigen Donnerstag seine Hommage an Valeska Gert mit dem Film „So ist das Leben“ eröffnet. Und auch die Arsenal-Gründer Erika und Ulrich Gregor, die ihr 1978, im Jahr des Todes von Valeska Gert, das erste Mal eine Hommage widmeten, werden über ihre Bedeutung für die Moderne reden.

Sie war Tänzerin, Kabarettistin, Schauspielerin, vor allem aber eine sehr eigenwillige junge Frau: klein, kräftig, mit kurzgeschnittenem Haar, betonten Augenbrauen und rundem Gesicht. Ihre Schritte von ungeheurer Selbstbehauptungskraft, ihr Gesicht eine eigene Bühne. Wie sie mit Augen, Lippen, Zunge und Wangenmuskeln ein ganzes existentielles Drama erzählen konnte, bezeugen die kurzen Filmdokumente „Das Baby“, „Der Tod“, für die sie 1969, als schon alte Frau, ihre Nummern aus der Zeit der Weimarer Republik noch einmal für die Kamera gab. Damals war sie die Wirtin des „Ziegenstalls“ auf Sylt, einem von vielen Künstlern geschätzten Lokal. Vor den Nationalsozialisten, denen ihre Kunst schmerzhaft auf die Füße trat, war sie nach New York geflohen, auch dort machte sie Kabarett, kam aber später nach Deutschland zurück. Dass sie in den 1950er Jahren eine KZ-Aufseherin auf die Bühne brachte, die berüchtigte Ilse Koch, hat ihren Start im Nachkriegsdeutschland nicht einfach gemacht.

Volker Schlöndorff hat sie porträtiert und ihr in seinem Film „Fangschuss“ (von 1976), der eine Tragödie auf einem Schloss im Baltikum erzählt, wo sich deutsche Freikorps-Truppen gegen Rotgardisten verschanzen, die Rolle einer adligen Tante gegeben. Da ragt ihr Spiel noch immer aus der Schauspielerei heraus, mit der sich Margarethe von Trotta und Matthias Habich in die historischen Figuren einfühlen. Ihr gebrechlicher Körper trumpft mit einem zähen Lebenswillen auf. Auf keine der Illusionen, die die anderen in diesem Krieg brauchen, um ihre Position zu ­behaupten, lässt sie sich ein. Bei Fellini, bei Fassbinder, auch bei Ulrike Ottinger hat sie mitgespielt, da war sie schon Legende. Das Arsenal zeigt aber auch viele ihre frühen Rollen, in großartigen Stummfilmen von G.W.Pabst („Die freudlose Gasse“ (1925), „Tagebuch einer Verlorenen“ 1829), in der sie die Rolle der Bösen übernimmt, gemein, grausam, hartherzig, unheimlich. Im „Tagebuch einer Verlorenen“ quält sie in einer Erziehungsanstalt die jungen Mädchen, die von der guten Gesellschaft wegen sexueller Verfehlungen ausgestoßen wurden sind. Die schöne Louise Brooks ist ihr Opfer in diesem expressionistischen Drama.

Sie verkörperte die Verachteten, Dirnen, Kupplerinnen und Herabgekommenen

Dieses Dämonische ist auch ihr Part in „Pett and Pott: A fairy story of the surburbs“, einem äußerst skurrilen Werbefilm der britischen Post für Telefonapparate von 1934. Als Dienstmädchen tyrannisiert sie die Familie Pott, die selbst zur Unordnung und Dekadenz neigt und bald mit Ehebruch und Einbrechern kämpft. Familie Pett ist das positive Gegenbeispiel, mit vier wohlerzogenen Kindern und einem sehr aufgeräumten Leben dank der telefonischen Kommunikation. Die naive Schwarzweißmalerei in diesem Film wirkt heute sehr komisch, illustriert aber auch glänzend, wovon Gert sich absetzen wollte: „Weil ich den Bürger nicht liebte, tanzte ich die von ihm Verachteten, Dirnen, Kupplerinnen, Ausgeglitschten und Herabgekommenen.“

Ihre eigenen Bühnensolos waren oft kurze Stücke, ihre Filmrollen sind meist Nebenrollen. Dennoch ist jeder dieser Splitter stark. Wer sie einmal gesehen hat, dem bleiben sie im Gedächtnis haften.

Arsenal , Hommage an Valeska Gert, 6. bis 27. Juli

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen