„Kannst du nicht mal schreiben, wofür es sich wie lohnen würde zu protestieren?“ Nein!: Kritik ist nicht konstruktiv
Alexander Nabert verkauft seine Arbeitskraft in Berlin, meist an Publikationen wie die Jungle World oder die Jüdische Allgemeine.
G-nervt
von AlexanderNabert
Dieses Jahr fällt das bei Linken überaus beliebte Fusion-Festival aus. Deshalb campen Linke, die etwas auf sich halten, diesmal im Hamburger Matsch, um gegen G20 zu protestieren. Als ich die Fusion in der Jungle World mal als „Deutschlands größtes Plenum“ denunzierte, erhielt ich eine Zuschrift: „Mir tut es hier in deiner Polemik etwas leid um die Menschen, die dort auch ’ne Menge tun, Spaß haben, sich vernetzen und neue Ideen spinnen. Die Herausforderung liegt doch darin, keinen Vorwurf zu machen, sondern sie eher abzuholen, wenn man es ernst meint.“ Ähnliches wird mir gerade wegen dieser Kolumne zugetragen. Weil ich die G20-Proteste kritisiere, sagte mir beispielsweise eine Freundin: „Was soll man denn stattdessen machen? Kannst du nicht mal schreiben, wofür es sich wie lohnen würde zu protestieren?“
Was da spricht, ist die Sehnsucht nach der „konstruktiven Kritik“. Wenn man schon unbedingt kritisieren muss, dann soll man auch gefälligst Alternativen aufzeigen. Diese Haltung verkennt, dass Kritik ihrem Wesen nach nicht konstruktiv ist, nicht sein soll. Kritik, die konstruktiv ist, ist keine. Sondern allenfalls ein Verbesserungsvorschlag. Kritik sagt, was falsch ist, und nähert sich so ex negativo dem Wahren, Guten und Schönen an. Ich kann nicht sagen, unter welchen Umständen welcher Protest gegen den G20-Gipfel richtig wäre, sondern nur, wie er falsch läuft. Ich weigere mich, dabei konstruktiv zu sein. Als ich mit der Kolumne „Die Protokolle der Weisen von Hamburg“ die Offenheit der G20-Proteste für Antisemitismus kritisierte, hätte man daraufhin einsehen können, dass da etwas falsch läuft. Dafür braucht es keine „konstruktive Kritik“, Kritik reicht schon. Und wie bitte soll eine „konstruktive Kritik“ des Antisemitismus aussehen?
Obwohl Linke sich permanent untereinander streiten, ist Streit verpönt. Die Sehnsucht nach konstruktiver oder „solidarischer Kritik“ ist in der Linken hegemonial. Sie scheint einem Harmoniebedürfnis zu entspringen, das keine Irritation zulassen will. Kritik, die ihrem Namen gerecht wird, wirkt auf Linke bedrohlich, weil sie die vielbeschworenen breiten Bündnisse in Gefahr bringen könnte. Man soll sich solidarisch mit den Zwecken erklären, bevor man konstruktiv eingreift, um den kritisierten Gegenstand noch besser zu machen. So wird im Vornherein ausgeschlossen, dass der Zweck ein falscher sein könnte, dass der kritisierte Gegenstand nicht verbesserungswürdig ist. Vielleicht schreibe ich eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen an die Fusion. Aber ich hege großen Zweifel, dass dies bei den G20-Protesten Früchte tragen würde.
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