: Vom Aussterben bedroht
Sprachpflege In der Lausitz fehlen Lehrer für die sorbische Sprache – dabei gibt es viele Anreize: keine Zulassungsbeschränkungen für das Studium, ein lukratives Stipendium und gute Jobperspektiven
Aus Dresden Michael Bartsch
„Ja rady serbski recu!“ „Ich spreche gern sorbisch“, kommt es den Viertklässlern locker von den Lippen. In den Unterrichtsräumen der sorbischen Grundschule im sächsischen Crostwitz dominieren sorbische Aushänge, das Alphabet für die Schulanfänger ist um die slawischen Buchstaben mit ihren Punkten, Strichen und Häkchen erweitert. Schüler sprechen nicht nur während des Unterrichts in dieser Sprache miteinander, sondern auch zu Hause. Hier im obersorbischen Kernsiedlungsgebiet nördlich von Bautzen spürt man noch nichts davon, dass Sprache und Kultur der sorbischen Minderheit immer mehr zurückgedrängt werden. Insgesamt sprechen etwa 40.000 Menschen im sächsischen Teil der Lausitz diese westslawische Sprache. Weitere 20.000 Niedersorben leben in Brandenburg, im Raum Cottbus. Sie alle sind Nachfahren der slawischen „Ureinwohner“ Sachsens, die jedoch schon Ende des ersten Jahrtausends in die Abhängigkeit des Ostfrankenreiches gerieten und nach und nach verdrängt wurden.
Aktuell droht der Sorbischunterricht immer mehr verdrängt zu werden – obwohl Sachsen mit dem Schulkonzept „2plus“ genau das verhindern will. Seit 2013 wird an sorbischen Schulen zweisprachig unterrichtet. Die Crostwitzer Kinder, die munter auf Sorbisch plappern, fallen dabei als Muttersprachler in die Sprachgruppe eins von insgesamt drei Kategorien. Zwar sprechen nur noch 1.700 Schüler an elf Schulen sorbisch, genügend Lehrer gibt es trotzdem nicht. Das allgemeine Problem mangelnden Lehrernachwuchses spitzt sich hierbei zu. Noch merken die Crostwitzer Grundschüler das nicht. Einen jungen tschechischen Lehrer finden sie klasse: „Der kommt aus Prag und wohnt jetzt in Bautzen. Und wir mögen ihn alle sehr!“ Wegen der engen Verwandtschaft beider Sprachen hat Sorbisch dem Lehrer keine große Umstellung abverlangt.
Ein Stipendium soll locken
Noch kann Schulleiter Mirko Schmidt so den Unterricht abdecken. Die Frage sei, wie lange noch: „Unsere jüngste Kollegin hat auch die 50 überschritten“. Trotz der drohenden Lehrerknappheit lobt Schmidt die gegenwärtigen Anstrengungen. Sie seien „die besten der vergangenen 50, 60 Jahre“, allein die Zahl der sorbischen Unterrichtsstunden habe sich vervierfacht. Aber wird das so bleiben?
Am Institut für Sorabistik in Leipzig studieren einfach zu wenige sorbisch sprechende Junglehrer. Und ganz allgemein zieht es Referendare eher in eine Großstadt als ins dörfliche sorbische Siedlungsgebiet. Das sächsische Kultusministerium lockt Lehramtsstudenten deshalb mit einem „Sachsenstipendium“ von 300 Euro, wenn sie sich für mindestens drei Jahre zu einem Dienst auf dem „flachen Land“ verpflichten – inklusive Bonus für sorbisch sprechende Bewerber.
Doch das Problem beginnt schon früher: Wer an einer sorbischen Schule unterrichten will, sollte möglichst muttersprachliche Qualitäten mitbringen. In erster Linie kommen also für ein entsprechendes Lehramtsstudium Abiturienten in Frage, die selber eine sorbische Schule besucht haben. Doch es gibt nur ein einziges entsprechendes sorbisches Gymnasium in Bautzen. „Die sorbische Intelligenz geht durch dieses Gymnasium“, stellt der dortige Schulleiter René Jatzwauk mit einigem Selbstbewusstsein fest. Aber: Das Gymnasium fährt zweizügig, pro Jahrgang entlässt es nicht mehr als 50 bis 60 Abiturienten, von denen vielleicht die Hälfte Sorbisch als Muttersprache spricht.
Zwar wird für die Aufnahme eines Lehrerstudiums am Institut für Sorabistik in Leipzig eifrig geworben. Doch der sorbische Linken-Abgeordnete Heiko Kosel nannte in einer Fragestunde des Sächsischen Landtags ernüchternde Zahlen. Demnach haben sich in den vergangenen drei Jahren zwar je zwischen 18 und 26 Abiturienten am Institut beworben, aber nur drei bis sieben haben tatsächlich ein Studium aufgenommen. Obendrauf wurde Kritik an schlechter Betreuung dieser wenigen Studenten laut. Sebastian Handrick von der Regionalstelle der Bildungsagentur in Bautzen weist das zurück. Die Lehramtsstudenten müssen einmal jährlich über ihren Studienstand informieren, bei Problemen können sie sich jederzeit an die staatliche Agentur wenden. Und man werde ihnen auch nicht „den roten Teppich ausrollen und hinterherlaufen“, verweist Handrick auf eine Selbstständigkeit, die jeder Lehrer seinen Schülern vorleben müsse. Neben der Familie ist die Schule für die Sprachpflege enorm wichtig. Dennoch mahnt Ludmila Budar vom sorbischen Schulverein: „Der sorbische Lehrermangel ist für uns existenziell.“ Schon in der Vorschule müssten die Kinder auf einen gewissen Sprachstand gebracht werden.
Aber muss man überhaupt so viel in den Erhalt einer Sprache und damit der Kultur einer Minderheit investieren, die sogar Gymnasiumsdirektor Jatzwauk als „Restvolk“ bezeichnet? Die sorbischen Kinder von Crostwitz finden es zwar praktisch, dass sie sich mit den tschechischen Nachbarn gut unterhalten können. Aber auch sie ahnen, dass ihre Sprache immer unwichtiger werden könnte.
Hoffnung Quereinsteiger
Dennoch steht der Schutz der Sorben nicht nur in der Landesverfassung, die Sprachpflege ist für Mirko Schmidt von der sorbischen Grundschule in Crostwitz sogar ein Menschenrecht. Aber hat dem die Landesregierung auch entsprochen? Der Sorbe Marko Schiemann gehört der regierungstragenden CDU an und beklagt hinsichtlich der Lehrerausstattung schwerwiegende Versäumnisse in den vergangenen 15 Jahren. „Eine ganze Lehrergeneration fehlt“, heißt es auch in Crostwitz. Vor allem liegt Schiemann eine sorbische Sprachschule am Herzen, wie es sie in Brandenburg bereits gibt. Hier könnten geeignete Lehrer, Quereinsteiger, aber auch Verwaltungsangestellte unterrichtet werden.
Konkret ist diese Idee noch nicht. Um mehr Abiturienten für eine Karriere als Sorbischlehrer zu begeistern, geht das sächsische Wissenschaftsministerium aktuell verschiedene Wege. Die Zulassungsbeschränkungen für Lehramtsanwärter, die an sorbischen Schulen unterrichten wollen, wurden etwa um eine ganze Note gesenkt. Hilfesuchend wird auch zu den tschechischen Nachbarn geblickt. Das Anwerben tschechischer Lehrer war sogar Thema beim Frühjahrsbesuch von Ministerpräsident Stanislaw Tillich in Prag, der selbst Sorbe ist. Die formalen Hürden für einen Wechsel nach Sachsen liegen niedrig. Aber René Jatzwauk vom sorbischen Gymnasium weiß gerade einmal von zwei Lehrern, die an sorbischen Schulen in Sachsen unterrichten.
Ende August 2016 hat das sächsische Regierungskabinett außerdem ein Maßnahmenpaket beschlossen, dass auf Seiteneinsteiger und berufsbegleitende Qualifizierung setzt. Überprüfbare Erfolge stehen noch aus.Die sorbischen Lehrer selbst setzen derweil Hoffnung unter anderem auf eine Wiederentdeckung der Sprache unter Jugendlichen. Wichtig könnte dabei vor allem die beachtliche Vernetzung in der digitalen Welt sein, wo etwa in sozialen Netzwerken verstärkt auf Sorbisch kommuniziert wird. Auch der Mitteldeutsche Rundfunk setzt auf sorbische Programme. All das könnte die Sprache neu beleben – vor allem unter jungen Leuten wäre das wichtig. Schließlich könnten sie die Sorbischlehrer von morgen werden.
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