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Die „Welle“ schwappt nicht über

Aktionstag Die Demonstration von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zu Land und zu Wasser bleibt hinter den Erwartungen zurück. Rund 10.000 fordern eine gerechtere Welt und besseren Klimaschutz

Aus Hamburg Patricia Hechtund Malte Kreutzfeldt

Der Regen hat gerade aufgehört, als pünktlich um 13 Uhr die Kanus, Kajaks, Schlauchboote und Flöße unter der Kennedy-Brücke hindurch von der Außen- in die Binnenalster fahren. In manchen sitzt oder steht nur eine Person, die paddelt, in anderen bis zu 20. Viele haben Transparente oder Fahnen an ihren Booten befestigt, die sich leuchtend pink oder in Regenbogenfarben vom Grau des Himmels und der Alster abheben. „Kohlekraft abschalten“ steht da, „Global umfairteilen“ oder „Diese Wirtschaft tötet!“.

Zu Land jubeln die DemonstrantInnen, zu Wasser trommeln sie mit ihren Paddeln rhythmisch auf ihre Boote. Immerhin, die Stimmung ist gut – wenn die Zahlen auch deutlich unter den Erwartungen geblieben sind. Mehr als 200 Boote waren angemeldet, etwa 120 Boote mit etwa 300 Menschen sind es geworden – sicher auch dem Regen geschuldet, der in den vergangenen Stunden kaum nachgelassen hatte.

Auch bei der Auftaktkundgebung an Land, die kurz zuvor auf dem Hamburger Rathausmarkt stattfand, haben sich weniger Menschen eingefunden als von den Veranstalterinnen erwartet: Als der Regen schließlich aufhört, sind es statt der erhofften 30- bis 50.000 DemonstrantInnen nach taz-Schätzungen weniger als 10.000. Die Polizei sprach von 8.000, die VeranstalterInnen von 18.000 Menschen.

Von der Bühne aus tragen deutsche und internationale RednerInnen ihre Forderungen an die G 20 vor. „Steueroasen müssen endlich trockengelegt werden, große Vermögen gehören endlich höher besteuert“, ruft etwa DGB-Vorstand Stefan Körzell. „Deutschland wird sein Klimaziel krachend verfehlen“, kritisiert Greenpeace-Geschäftsführerin Sweelin Heuss. Und US-Aktivistin Nelini Stamp ruft zum Widerstand gegen Donald Trumps Klima- und Einwanderungspolitik auf.

Die KanutInnen der Bootsdemo waren zum Teil seit den frühen Morgenstunden unterwegs. Einige FlößerInnen von Greenpeace sind seit sechs Uhr gepaddelt, um pünktlich am Treffpunkt an der Außenalster zu sein. Dort wurden ab elf Uhr die ersten Boote zu Wasser gelassen. Von Kopf bis Fuß in Regenzeug verpackt steigen die ersten ein, andere warten am Ufer noch unter Schirmen ab, ob die Wolken nicht doch noch aufbrechen. „Das ist liquid sunshine“, witzelt ein Paddler, der mit einer Gruppe der Naturfreunde aus Bielefeld angereist ist.

Die OrganisatorInnen zeigten sich jedoch enttäuscht: „Leider sind weniger Menschen gekommen, als wir erhofft haben“, räumen sie in einer Erklärung ein – und sehen die Schuld vor allem beim schlechten Wetter. Doch es dürfte auch andere Gründe haben, dass die „Protestwelle“, die in Hamburg und bundesweit breit beworben wurde, nicht wirklich übergeschwappt ist. So waren im Vorfeld der Termin fast eine Woche vor dem Gipfel und die insgesamt positive Haltung der Veranstalter zum G-20-Treffen als solchem auf Kritik gestoßen.

Diejenigen, die am Samstag dabei sind, stört das aber nicht. „Ich finde gut, dass die G-20-TeilnehmerInnen überhaupt miteinander reden“, sagt Jörg Behrens, der mit seiner Tochter über die Alster paddelt. „Aber die Themen sind die falschen.“ Statt um Wirtschaftswachstum müsse es um verbindliche Maßnahmen zum Klimaschutz und die Eindämmung der Armut auf der Welt gehen. Seine 13 Jahre alte Tochter stimmt ihm zu: „Es gibt zu viele Kriege“, sagt sie. Dass die G-20-TeilnehmerInnen von ihrem Protest wenig mitbekommen, weil sie noch gar nicht in der Stadt sind, stört die beiden nicht: „Die lesen doch auch Zeitung“, sagt Behrens. Zumindest bei Angela Merkel werde schon ankommen, was hier heute los sei.

Auf besonders scharfe Kritik stößt die Freihandelspolitik, gegen die in Deutschland zuletzt bis zu 250.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Dass die EU unter dem Kürze Jefta trotzdem bereits am nächsten Abkommen mit Japan arbeitet, empört Campact-Geschaftsführer Christoph Bautz. „Mit Jefta kommt unser Widerstand zurück“, drohte er. Als der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen bei einem Talk auf der Bühne das Ceta-Abkommen mit Kanada verteidigt, wird er ausgepfiffen.

Bei der Bootsdemo lässt sich derweil die einzige teilnehmende Windsurferin nicht aus der Ruhe bringen. Magdalena Boinski ist mit einigen anderen von Greenpeace aus Oldenburg angereist. Sie scheint eine der wenigen zu sein, die trotz des Wetters wirklich gute Laune behalten: „Ich wusste sowieso, dass ich heute nass werde“, sagt sie und lacht. Heute sei ein guter Tag für eine friedliche Demo.

Gegen Gewalt grenzten sich auch die Organisatoren klar ab. Man wolle sich „mit friedlichen Mitteln für den Frieden“ einsetzen, sagte Roman Huber von Mehr Demokratie. Der gefürchtete „schwarze Block“ ist bei der „Protestwelle“ denn auch nur in einer extrem harmlosen Variante dabei: Vom Ufer aus wird ein sechs Meter hoher würfelförmiger Ballon zu Wasser gelassen, auf dem „Black Block“ steht. Inmitten der Boote ziehen ihn vier KanutInnen über die Alster.

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