piwik no script img

Offener Brief zu 100 Tagen HungerstreikGegen den Tod, für das Leben

Die Akademiker*innen für den Frieden Deutschland fordern in diesem offenen Brief Unterstützung für Nuriye Gülmen und Semih Özakça.

Foto vom 71. Tag des Streiks Foto: Murat Bay

Schritt für Schritt wird die Diktatur Erdoğans in der Türkei weiter ausgebaut. Und mit jedem Tag wird sie gewaltsamer. Mit Hilfe des Ausnahmezustands unterdrückt die Regierung alle oppositionellen Kreise, die Angestellten des öffentlichen Dienstes, Journalist*innen und Politiker*innen und versucht dies mit einem nationalistischen Diskurs zu legitimieren.

Innerhalb eines Jahres sind 150.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes auf ungerechte und rechtswidrige Weise entlassen worden. Ihnen wurden dadurch alle sozialen Rechte entzogen und sie somit dem „sozialen Tod“ ausgeliefert. Da die Justizorgane von der Regierung gelenkt werden, haben die Betroffenen jegliches Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verloren. Auch haben wir unseren Kollegen Dr. Mehmet Fatih Traş nicht vergessen, der bei seiner vergeblichen Stellensuche nur auf verschlossene Türen stieß und sich schließlich das Leben nahm.

Dasselbe Unrecht hatten auch unsere Kolleg*innen Nuriye Gülmen und Semih Özakça, die beide im Bildungsbereich tätig waren, erlitten. Monatelang demonstrierten sie vor dem Menschenrechtsdenkmal in der Hauptstadt Ankara und forderten von der Regierung ihre Wiedereinstellung und ein Ende der Repressionen. Nach 120 Tagen friedlicher Mahnwache, bei der sie mehrfach festgenommen und misshandelt wurden, begonnen sie am 9. März 2017 einen unbefristeten Hungerstreik.

Am 22. Mai 2017 wurden Nuriye und Semih in einer nächtlichen Polizeiaktion festgenommen. Der Grund hierfür kann nur die „Furcht“ der Regierung gewesen sein, dass dieser Protest die unterschiedlichen oppositionellen Kräfte im Land mobilisieren könnte. Heute befinden sich die beiden seit 100 Tagen im Hungerstreik.

Am 23. Mai wurde Haftbefehl gegen sie erlassen. Während sie ihren Hungerstreik in der Haft fortsetzen, hat die Polizei Solidaritätsdemonstrationen in Istanbul und Ankara angegriffen und unsere Kolleg*innen gewaltsam festgenommen, darunter Mitglieder der “Fraueninitiative für den Frieden“ sowie “Akademiker*innen für den Frieden“. Aus Solidarität haben Sultan Özakça, die Mutter von Semih, und seine Frau Esra Özakça, ebenfalls einen Hungerstreik begonnen und sind dabei der Polizeigewalt ausgesetzt.

Als eine Gruppe der in Deutschland lebenden Akademiker*innen für den Frieden, rufen wir den türkischen Staat dazu auf, dieses feindselige und widerrechtliche Regime gegen die Oppositionellen des Landes zu beenden. Im Angesicht der Gefahr, dass Nuriye und Semih sterben könnten, muss die Regierung sofort auf ihre Forderungen eingehen.

Die gesetzeswidrigen Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst müssen umgehend gestoppt und die Entlassenen wiedereingestellt werden. Alle erforderlichen juristischen Maßnahmen für ihre Entschädigung müssen sofort in Gang gesetzt werden.

Der Schaden, den das Erdoğan-Regime dem friedlichen Zusammenleben in der Türkei zufügt, geht uns allen an. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Staaten Europas den erstarkenden Faschismus in der Türkei zugunsten des Flüchtlingsabkommens, internationaler Handelsinteressen oder Rüstungsexporte ignorieren.

Wir appellieren daher an die Öffentlichkeit in Deutschland als auch in Europa, die Menschen in der Türkei in ihrem Widerstand nicht allein zulassen und gemeinsam mit ihnen dem steigenden Faschismus entgegenzutreten. Wir rufen Sie alle dazu auf, ihre Stimmen hörbar zu machen und Position zu beziehen.

AKADEMIKER*INNEN FÜR DEN FRIEDEN – DEUTSCHLAND

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!