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Schönheit und Vielfalt lobpreisen

SCHILLERND Das Festival „48 Tunten Neukölln“ zeigt, wie wunderbar bunt und queer die Kunstszene Neuköllns auch sein kann. Und ist dabei politisch – ohne deshalb Flugblätter zu verteilen

Die Kehrseite der Sichtbarkeit ist, dass man auch erkennbar wird

von Maike Brülls

taz: Kaey und Toni, ihr veranstaltet zusammen das Festival 48 Tunten Neukölln“ Darf man „Tunte“ überhaupt sagen?

Toni: Ja, natürlich!

Kaey: Kommt darauf an, wie man es sagt. Es steht die tolle Geschichte dahinter, dass „Tunte“ am Anfang eine Beleidigung war – auch bei Schwulen untereinander. Aber in der Berliner Szene gab es in den 80ern eine große Tuntenbewegung, die sich diesen Begriff angeeignet und positiv besetzt hat. In diesem Zusammenhang feiern wir die Tunte auch in unserem Festival: als ein empowerndes Statement. „Tunte“ ist dann ein aktivistischer Begriff. Das ist etwas ganz anderes, als wenn jemand „Ey, du doofe Tunte“ ruft.

Euer Festival läuft ja parallel zum bekannten Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“. Welche Idee steckt dahinter? Toni: Eine Tunte ist an sich immer schon sichtbar. Weil sie als queerer Mensch auffällt. Aber bei unserem Minifestival geht es noch um eine andere Art Sichtbarkeit. Es feiert ab, lobt und preist die Schönheit und Vielfalt und hat im Mittelteil auch einen ultra sichtbaren Part, nämlich unseren Tuntenspaziergang. Der ist nicht als Demonstration angemeldet, aber trägt demonstrationsähnliche Charakterzüge. Der Sinn des Spaziergangs ist, sich den öffentlichen Raum zu nehmen.

Kaey: Mir fällt immer wieder aus, dass Kunstevents meistens sehr heteronormativ und mainstream sind. Uns ist es deshalb wichtig, dass Künstler*innen ein Raum geboten wird und dass viele Leute, die hierher kommen, auch sehen, dass wir hier ganz viel Sehenswertes machen. Deswegen haben wir uns in das große „48 Stunden Neukölln“-Festival integriert – und wurden auch sehr offen aufgenommen.

Es geht also darum, wahrgenommen zu werden. Warum ist die Sichtbarkeit so wichtig?

Toni: Die Sichtbarkeit die wir wollen, ist eine positive: voller Bestärkung, Vielfalt und Buntheit. Viele haben ein abstraktes Bild von Tunten im Kopf. Wenn Leute dann aber echte Tunten kennenlernen, dann merken sie auch, dass das echte Menschen sind – wir machen also ganz simple pädagogische Aufklärungsarbeit.

Kaey: Die Idee des Tuntenspaziergangs finde ich deshalb so toll, weil es damals in den 80ern, also während Berlins großer Tuntenbewegung, ganz viele solcher Aktionen gab. Die Aktivist*innen haben sich zusammengerottet und sind einfach mal aufgedonnert shoppen gegangen. Man braucht ja nicht immer einen CSD oder eine große Demo, die man anmeldet, um irgendwie ein Statement zu machen.

Ihr sprecht von einer positiven Sichtbarkeit – welche negative gibt es denn?

Toni: Die Kehrseite der Sichtbarkeit ist, dass man auch erkennbar wird für die Leute, die das nicht toll finden. Die einen beschimpfen und im krassesten Fall körperlich angreifen. Jede Person, die als Tunte raus geht, ist sich dessen bewusst.

Kaey: Ich überlege mir jetzt schon, ob ich aufgedonnert die Weserstraße runter fahre und mir Sprüche drücken lasse oder Selfies machen muss. Es gibt immer Leute, die es super und die, die es scheiße finden. Deswegen geht sowas immer mit Herzklopfen einher. Selbst bei mir, die ich seit 20 Jahren auf der Bühne stehe. Unser Kampf als Aktivist*innen ist es, an einen Punkt zu kommen, wo wir dieses Gefühl nicht mehr haben.

Wie politisch ist denn das Festival?

Kaey: Wir haben uns zurückgehalten, das Festival ganz arg mit politischen Forderungen anzureichern. Einen kleinen Gimmick haben wir dabei: In den letzten Jahren haben einige Leute eine fiktive Spaßpartei gegründet, die Travestie für Deutschland, TfD. Die Galionsfigur der TfD, Jacky-Oh Weinhaus, wird am Samstagabend bei der Vernissage im Ludwig eine kleine Parteiansprache halten. Das ist ein kleines Highlight mit einem Augenzwinkern auf die Wahl.

Toni: Drag machen ist an sich schon politisch – ohne Flugblatt, Flüstertüte und Pressemitteilung. Weil es bei den Betrachtenden die Erkenntnis auslösen kann, dass Geschlecht etwas Konstruiertes ist. Dass wir nicht an unsere vermeintlich natürlichen Rollen gebunden sind, sondern die sehr schnell mit einfachen Mitteln und mit viel Spaß verändern, verbiegen, überschreiten können. Und diese Erkenntnis bleibt auch eine Woche nach dem Termin noch. Wenn man als Drag-King dieses übertrieben breitbeinige, Sich-am-Sack-kratzende-Gehabe lächerlich macht und eine Person aus dem Publikum später in der U-Bahn genau so einem Prachtexemplar gegenübersitzt, dann muss sie vielleicht lachen. Und kann dann ganz anders und stärker sein, als vorher. Ohne, dass sie vorher ein Manifest gelesen hat.

Was sind eure persönlichen Highlights?

Kaey: Oh, wir haben sie doch alle lieb!

Toni: Ich denke, das größte Event in der größten Location ist die SchwuZ-Party.

Kaey: Ich trete ein für die Vernissage der Ausstellung „Nachtschatten – Lichtgestalten“ in der Galerie Ludwig am Samstagabend. Die wird dann ja sieben Wochen hängen, mit Werken von fünf Fotograf*innen und vier bildenden Künstler*innen und es gibt sieben Wochen Begleitprogramm. Zum Beispiel ein Kostümworkshop, einen Schminkworkshop, ein Filmscreening, Diskussionsveranstaltungen – alles um das Thema Tunte.

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