: Keine Zeit für den Abschiebeflieger
Flüchtlinge Nach dem Anschlag in Kabul setzt die Bundesregierung Rückführungen nach Afghanistan aus. Schon in ein paar Tagen soll es aber weitergehen
Seine Mitschüler protestieren zunächst, mehrere von ihnen setzen sich nach Polizeiangaben vor den Streifenwagen. Am Ende zücken die Beamten aber ihr Pfefferspray und kämpfen den Weg frei.
Der junge Mann kommt in Abschiebegewahrsam und wartet dort auf den nächsten Rückführungsflug nach Kabul, der zum Zeitpunkt des Einsatzes noch für Mittwochabend geplant ist.
Noch einmal zwei Stunden später betritt Innenminister Thomas de Maizière den Sitzungssaal des Innenausschusses im Bundestag. Seine Nachricht für die Abgeordneten: Der Flug wird verschoben. Nach dem Anschlag in Kabul haben die Behörden im Laufe des Vormittags umgeplant. Dem Afghanen aus Nürnberg und einigen Dutzend seiner Landsleute bleiben noch ein paar Tage mehr in Deutschland. Mehr aber auch nicht.
„Es wird in den nächsten Tagen keine Sammelabschiebungen nach Afghanistan geben“, bestätigt am Mittag ein Sprecher des Ministers. Der Grund ist rein pragmatisch. Normalerweise empfangen Mitarbeiter der deutschen Botschaft die Abgeschobenen am Kabuler Flughafen; nach dem Anschlag, der das Botschaftsgebäude verwüstete, haben die Diplomaten für den Rückführungsflieger aber weder Zeit noch Nerven. Sobald sich die Aufregung gelegt hat, will die Bundesregierung die Abschiebungen aber fortsetzen. „Wir werden diesen Weg weiter konsequent durchsetzen“, sagt de Maizières Sprecher.
Seit Dezember haben die Behörden fünf Sammelabschiebungen durchgeführt, in den Flugzeugen saßen insgesamt rund 100 ausreisepflichtige Afghanen. In erster Linie sollen die Flüge ein Symbol sein: Die Bundesregierung und die beteiligten Bundesländer wollen mit den Bildern vom Kabuler Flughafen weitere Afghanen davon abhalten, in Richtung Europa zu flüchten. Die Regierung stützt sich dabei auf einen internen Bericht des Auswärtigen Amtes, demzufolge die Sicherheitslage zumindest in Teilen Afghanistans Abschiebungen zulässt.
Die Opposition im Bundestag fordert nach dem Anschlag vom Mittwoch, den Bericht anzupassen und die Abschiebungen einzustellen. „Der Anschlag auf das bestbewachte Viertel Kabuls beweist erneut, dass Afghanistan nicht sicher ist“, sagt der Fraktionsvize der Linkspartei, Jan Korte der taz. Zumindest vorerst bleibt die Bundesregierung aber bei ihrer Haltung. „Dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil und regional unterschiedlich ist, daran hat sich für uns heute nichts verändert“, so eine Sprecherin des Auswärtigen Amts. Tobias Schulze
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