Bitte recht freundlich zurück zum G9

NRW In den Koalitionsgesprächen inszenieren CDU und FDP Harmonie – schon wegen der dünnen Mehrheit im Parlament

Abiturprüfung in Düsseldorf. Künftig soll das Gymnasium wieder neun Jahre dauern Foto: Rupert Oberhäuser/Caro

Aus Bochum Andreas Wyputta

Das Wort „Kehrtwende“ wollte FDP-Parteichef Christian Lindner nicht in den Mund nehmen – nicht beim wichtigsten Thema in Nordrhein-Westfalen, der Schulpolitik. Trotzdem war das, was der Fraktionsvorsitzende der Liberalen nach der vierten großen Runde der Koalitionsverhandlungen verkündete, eine kleine Sensation: Im bevölkerungsreichsten Bundesland kehren CDU und FDP zum Abitur nach neun Jahren weiterführender Schule (G9) zurück.

Dabei hatten beide Parteien das „Turbo-Abitur“ 2005 mit der Regierungsübernahme durch den Christdemokraten Jürgen Rüttgers selbst eingeführt. Jetzt sollen Ausnahmen für ein Abitur nach acht Jahren (G8) einzelnen Schulen nur auf Antrag gestattet werden. Im Wahlkampf im Mai hatte dies gerade von Seiten der FDP noch anders geklungen: G8 sollte Regelfall bleiben, G9 dagegen nur in Sonderfällen genehmigt werden.

Grund für die Kehrtwende, die Lindner gequält nur als „K-Wort“ umschrieb, sind massive Proteste von Eltern: Für ein Volksbegehren zur Rückkehr zum Abi nach 13 Schuljahren haben sie rund 500.000 Unterschriften zusammen. „Viel Unzufriedenheit vor Ort“ habe G8 produziert, konstatierte der designierte Ministerpräsident Armin Laschet – viele halten nichts von dem durchgetakteten, von Schulstress und Leistungsdruck geprägten System: Für den Sportverein bleibe ebenso wenig Zeit wie für das Erlernen eines Musikinstruments, argumentieren VertreterInnen der Initiative „G9 jetzt“.

Trotzdem bemühte sich Laschet auffällig um Schonung der FDP, die immer wieder gemahnt hatte, Bildungsinhalte müssten ökonomisch besser verwertbar werden. Die Frage sei „letztlich keine parteipolitische mehr“, argumentierte der CDU-Mann mit Blick auf das Nachbarland Hessen: Bei völliger Wahlfreiheit machen dort 90 Prozent der SchülerInnen erst nach 13 Jahren Abitur.

Uneigennützig ist die betonte Freundlichkeit des Christdemokraten allerdings nicht: Für seine Wahl zum Regierungschef braucht Laschet jeden einzelnen Abgeordneten der FDP – im Landtag hat Schwarz-Gelb die kleinstmögliche Mehrheit von 100 der 199 Sitze.

Für seine Wahl braucht Laschet jeden einzelnen Abgeordneten

Entsprechend harmonisch inszenierten Laschet und Lindner zumindest die ersten beiden Runden ihrer Koalitionsgespräche: Auf Wunsch der FDP gekippt werden soll vor allem die Arbeit des bisherigen grünen Umwelt- und Verbraucherschutzministers Johannes Remmel. Verschwinden wird deshalb die „Hygiene-Ampel“, mit der KundInnen leicht erkennen sollten, ob Gastronomiebetriebe sauber arbeiten. Gekippt wird auch der Klimaschutzplan, der zumindest Landesbehörden zur Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele verpflichtete.

Christdemokrat Laschet, der lange von Schwarz-Grün geträumt hat, versucht dagegen, andere Ökologiethemen offensiv zu besetzen: NRW könnte „Taktgeber“ für Elektro- und Hybridantriebe werden. Belgien soll bitte die von Remmel „Bröckel-Reaktoren“ getauften Atomkraftwerke Tihange und Doel mit ihren Tausenden Rissen in den Druckbehältern abschalten. Auch die von den Grünen durchgesetzte Verkleinerung des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II wird nicht zurückgenommen.

Unklar bleibt, ob CDU und FDP wieder Studiengebühren erheben wollen. Diese seien „kein Selbstzweck“, versichert Andreas Pinkwart, hochschulpolitischer Verhandlungsführer der FDP. Alternativ könne eine bessere Ausstattung der Unis auch aus Steuermitteln erfolgen, sagt der ehemalige Wissenschaftsminister – und macht damit deutlich, wo die Schwierigkeiten der kommenden Verhandlungsrunden liegen werden: Die Finanzierung des künftigen Regierungsprogramms war bisher kein Thema – auch nicht die Frage, wo das Geld für die bei einer Umstellung auf G9 nötigen Tausenden LehrerInnen herkommen soll.