: Nichts als Protest
Türkei Die Redaktion der nationalistischen Zeitung „Sözcü“ ist das nächste Opfer: Drei JournalistInnendes Blattes wurden festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen Unterstützer der Gülen-Bewegung sein
von Jürgen Gottschlich
„19. Mai Spezialausgabe zur Pressefreiheit“, hatte die Redaktion auf ihre Samstagsausgabe geschrieben: Es folgten 19 leere Seiten.
Es war böse Ironie mit einem bitteren Nach- oder besser Vorgeschmack: Denn am Tag zuvor, am Freitag, ebenjenem 19. Mai, waren am Morgen Polizei und Staatsanwälte bei Sözcü aufgekreuzt. Verhaftet wurden der Online-Chef des Blattes, Mediha Olgun, und die Geschäftsführerin Yonca Keleli, später auch der für die westtürkische Metropole Izmir verantwortliche Korrespondent Gökmen Ulu, wie die Nachrichtenagentur DHA am Freitagabend meldete. Mit Haftbefehl gesucht wird der Herausgeber und Besitzer von Sözcü, Buray Akbay.
Wieder ist also ein Blatt ins Visier von Polizei und Justiz geraten. Wieder hat der Staat hart zugeschlagen. Diesmal hat es Sözcü getroffen, ein nationalistisches Boulevardblatt, das allerdings aus einer säkular-kemalistischen Haltung heraus zu den schärfsten Kritikern des islamischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zählt. Sözcü ist mit einer Auflage von 270.000 Exemplaren nach Hürriyet und Sabah das drittgrößte Blatt der Türkei. Die Geschichten in Sözcü sind oft grenzwertig, aber die Zeitung überrascht auch immer wieder mit interessanten Informationen.
So soll auch die jetzige Operation gegen Sözcü mit einer wichtigen journalistischen Leistung der Redaktion zusammenhängen. In der Putschnacht des 15. Juli 2016, als alle Welt sich noch fragte, wo Präsident Erdoğan steckt, war das Onlineportal von Sözcü das erste, das herausgefunden hatte, dass Erdoğan sich in einem Ferienressort in Marmaris aufhielt.
Putschisten sollen in der Nacht das Hotel angegriffen haben. Erdoğan war aber schon abgereist.
Autor der Geschichte war ebenjener Reporter Gökmen Ulu, der jetzt festgenommen wurde.
Der offizielle Vorwurf gegen die Sözcü-Journalisten und -Geschäftsleute lautet: „Unterstützung der Gülen-Bewegung“. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres verantwortlich.
Buray Akbay, der Besitzer und Herausgeber des Blattes, ist ein schillernder Geschäftsmann, der auch in Deutschland bekannt wurde, als er vor Jahren in den Bieterwettstreit um den Kauf der Frankfurter Rundschau eingestiegen war. Damals rätselten die Kollegen in Frankfurt, wie ernsthaft die Absichten von Buray Akbay waren. Immerhin besitzt Akbay im Umland von Frankfurt eine Druckerei, wo auch die Europaausgabe von Sözcü produziert wird. Buray Akbay soll sich zurzeit in Frankreich aufhalten. Er wird wohl nicht so schnell nach Istanbul zurückkehren.
Viele Journalisten in der Türkei sehen in dem Angriff auf die säkulare Zeitung eine Vorstufe für einen neuerlichen Angriff auf die ebenfalls säkular orientierte Hürriyet. Denn trotz aller Repression und den daraus resultierenden Entlassungen von Chefredakteuren und wichtigen Journalisten konnte die Macht der Hürriyet bislang nicht gebrochen werden. Die Zeitung mit Sitz in Istanbul ist immer noch die größte und wichtigste der Türkei.
Und selbst Sözcü verkauft täglich mehr Exemplare als Yeni Safak, das Hausblatt der AKP.
Für die 13 verhafteten Kollegen der linksliberalen Cumhuriyet fand am Donnerstag eine Mahnwache statt, weil sie bereits seit 200 Tagen im Gefängnis sitzen.
Ausland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen