piwik no script img

Grüne wetzen die Messer

NRW Nach dem Wahldesaster überziehen sich die Grünen mit harten Schuld-zuweisungen. Nach ersten Rücktritten wackeln nun auch die Parteichefs

Aus Bochum Andreas Wyputta

Nach dem Wahldesaster der Grünen in Nordrhein-Westfalen tobt hinter den Kulissen der Kampf um Posten und Inhalte. Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann hat bereits ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. „In absehbarer Zeit“ werde sie ihr Landtagsmandat niederlegen, sagte die 60-jährige Nochschulministerin vor der konstituierenden Sitzung der grünen Fraktion am Dienstag.

Auch deren bisheriger Chef Mehrdad Mostofizadeh steht nicht mehr als Vorsitzender zur Verfügung. Als Nachfolger werden die einstigen Parteivorsitzenden Monika Düker und Arndt Klocke gehandelt – möglicherweise in einer Doppelspitze.

Aus verschiedenen Kreisverbänden kommen zusätzlich Forderungen, nach denen auch die Umweltminister Johannes Remmel und seine für Gesundheit zuständige bisherige Kabinettskollegin Barbara Steffens ihre frisch errungenen Landtagsmandate niederlegen sollen.

Die Grünen hatten bei der Landtagswahl am Sonntag mit nur 6,4 Prozent ein ultramieses Ergebnis erzielt – fünf Jahre zuvor hatten sich noch 11,3 Prozent der WählerInnen für die Ökopartei entschieden.

Statt bisher 29 zählt ihre Fraktion künftig nur noch 14 Abgeordnete – darunter viele, die wie Remmel oder Steffens bereits 17 Jahre und mehr im Landtag oder in der Regierung sitzen. Ob diese „alte Garde“ glaubhaft einen Neuanfang vertreten kann, ist in der Partei umstritten.

Weiter gestalten will aber zumindest Remmel. „Ich bin für die grünen Kernthemen Umwelt und Verbraucherschutz auf die Landesliste gewählt worden“, sagte der noch amtierende Minister der taz. „Jetzt möchte ich die Arbeit aufnehmen.“ In der Fraktion strebe er allerdings keine „herausgehobenen Ämter“ an. Und Remmel stellte klar: „Ich bin nicht das Gesicht der nächsten Wahl 2022.“

Bisher nicht geäußert hat sich dagegen Gesundheitsministerin Steffens.

Bildungsministerin Löhrmann habe Politik im „Trial-and-Error-Modus“ betrieben, heißt es

Schuldzuweisungen an die grüne Ministerriege kommen auch aus dem bisherigen Fraktionsvorstand: Die aus Solingen stammende Löhrmann habe im Streit um das Abitur nach acht oder neun Jahren und der Inklusion – also der Integration von SchülerInnen mit Handicap in den regulären Unterricht – Politik im „Trial-and-Error-Modus“ gemacht, kritisiert etwa der bisherige Fraktionsvize Norwich Rüße. Auch Remmels Themen „Energiewende, Agrarwende oder gar der Tierschutz“ hätten keine „Strahlkraft“ entwickelt, sagt der Münsterländer, der auch auf die grüne Bundesvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, die am Tag nach der Wahl ihr „Krönchen richten und weitermachen“ wollte, nicht allzu gut zu sprechen ist.

Die Landesparteichefs Sven Lehmann und Mona Neubaur machen dagegen die Abgeordneten für das Wahldesaster mitverantwortlich. „Nach sieben Jahren in der rot-grünen Koalition hatten wir laut Untersuchungen Kompetenzverluste in allen relevanten Politikfeldern“, klagt Lehmann. Auf Nachfrage nennt er etwa den Bereich So­zia­les: Die bisher für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständigen Abgeordneten Manuela Grochowiak-Schmieding und Martina Maaßen galten als derartige Totalausfälle, dass sie es nicht einmal auf die grüne Landesliste geschafft haben, mit der die LandtagskandidatInnen nominiert wurden.

„Inhaltsleere Kampagne“

Nichts hören wollen Lehmann und Neubaur allerdings von Rücktrittsforderungen gegen sie selbst. „Inhaltsleer“ sei die von ihnen verantwortete Wahlkampagne gewesen, hatte es schon Wochen vor der Niederlage aus der Fraktion geheißen. Darauf angesprochen, will Lehmann von „einseitigen Schuldzuweisungen“ nichts wissen. „Wir gewinnen Wahlen gemeinsam, wir verlieren Wahlen gemeinsam“, sagt der Landeschef.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen