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Festnahme als Bestrafung

Türkei Die Vorwürfe gegen die deutsche Übersetzerin Meşale Tolu sind undurchsichtig. Kollegen und Anwälte erkennen dahinter eine Strategie

Demonstranten in Frankfurt am Main unterstützen Meşale Tolu Foto: Andreas Friedric/imago

von Ali Çelikkan

Die Vorwürfe gegen die in der Türkei verhaftete deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu stützen sich auf die Aussagen eines „anonymen Zeugen“. Das geht aus ihrem Vernehmungsprotokoll hervor, das der taz vorliegt.

Tolu wurde am 30. April in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen. Am 6. Mai wurde die deutsche Staatsbürgerin verhaftet und befindet sich seitdem in der Frauenhaftanstalt Bakırköy.

Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft musste Tolu Fragen zu ihrer Anwesenheit bei diversen Veranstaltungen beantworten: Warum sie die Beerdigung von Yeliz Erbay, die im Dezember 2015 bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen war, besucht hatte; weshalb sie bei der Pressekonferenz für die deutsche Staatsbürgerin Ivana Hoffmann anwesend war, die als Teil der kurdischen Miliz YPG im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ getötet wurde; und weshalb sie die Gedenkveranstaltung für Suphi Nejat Ağırnaslı besucht hatte, der in Deutschland zur Schule gegangen und im Oktober 2014 als YPG-Kämpfer während des Kobani-Widerstands gestorben war. Es handelt sich bei all dem um Veranstaltungen, die von der Ezilenlerin Sosyalist Partisi (ESP), zu Deutsch „Sozialistische Partei der Unterdrückten“, mitorganisiert wurden. Die ESP ist bisher allerdings nicht als terroristische Vereinigung eingestuft.

Tolus Vater gibt auf Anfrage der taz an, die 33-Jährige habe die Veranstaltungen als Journalistin verfolgt. Tolu wird von der Staatsanwaltschaft aber „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropanganda“ vorgeworfen. In ihrer Verteidigung äußerten Tolus Anwälte: „Die ESP ist eine legale Partei. Alle Veranstaltungen, die von der ESP organisiert werden, sind im Rahmen der Meinungsfreiheit geschützt, und haben nicht den Zweck, Terrororganisationen zu glorifizieren.“

Repressionen in der Türkei

Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurde in der Türkei der Ausnahmezustand verhängt. Seitdem werden immer wieder Journalisten festgenommen. 158 sitzen derzeit im Gefängnis.

Durch die Regelungen des Ausnahmezustands dürfen die Behörden Festgenommene teils wochenlang einsperren, ohne mitteilen zu müssen, wessen sie beschuldigt werden. Kritiker werfen deshalb der Regierung vor, Festnahmen zur Bestrafung und Einschüchterung einzusetzen.

Zuletzt wurde am Freitag der Online-Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Oğuz Güven, verhaftet.

Auch zu dem erwähnten „anonymen Zeugen“ äußerten die Anwälte Zweifel, da dieser nicht einmal den Namen ihrer Mandatin kenne. Tolus Anwältin Gülhan Kaya erklärt: „Stellen Sie sich vor, der anonyme Zeuge kennt Tolu überhaupt nicht, aber erstattet Anzeige gegen sie. Und das geht als Beweismittel in ihre Akte ein. Das lässt sich rechtlich nicht erklären, weil es nicht rechtens ist. Es ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie es um die Justiz in diesem Land steht.“

Baki Selçuk, Sprecher von Meşale Tolus Familie, sagt, Tolu gehe es gut. „Sie weiß, dass viele ihrer Kollegen, wie etwa Deniz Yücel, sich in einer ähnlichen Situation befinden wie sie. Da ihr kein Stift und kein Papier gegeben wurden, konnte sie keine Nachricht nach draußen verfassen.“ Zuletzt habe Tolu ihr zweieinhalbjähriges Kind zu sich in die Frauenhaftanstalt Bakırköy geholt.

Tolus Sprecher Selçuk berichtet weiter, dass Tolu keine Nachrichten lesen dürfe. Hier werde ganz klar versucht, Journalismus an sich zu bestrafen. Eine Kollegin Tolus bestätigt die Einschätzung: „Festnahme wird als Bestrafung eingesetzt.“

„Es ist nicht zu erklären, weil es nicht rechtens ist – ein weiteres Zeichen dafür, wie es um die Justiz in diesem Land steht“

Gülhan Kaya, Tolus Anwältin

Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amts, erklärte am Montag: „Wir werden natürlich nicht nachlassen, den völkerrechtlichen Anspruch, den wir gegenüber dem türkischen Staat haben, auch einzufordern. Ich kann Ihnen nur hier und heute leider auch in diesem Fall noch keine positive Antwort der türkischen Seite vermelden.“

Am Dienstag besuchte Tolus Familie das Deutsche Konsulat, begleitet vom Anwalt Kader Tonç. Generalkonsul Georg Birgelen sei nicht dabei gewesen, so Tonç. Weiter sagt der Anwalt, die Regierung gebe derzeit keine Einzelheiten über Tolus Festnahme bekannt und habe einen Besuchsantrag des Konsulats unbeantwortet gelassen.

Baki Selçuk hofft derweil auf den Druck der Öffentlichkeit. „In Ulm, wo Meşale herkommt, wurde bereits ein Solidaritätskomitee gegründet. Parallel dazu gibt es auch verschiedene Veranstaltungen in Istanbul.“

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