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„Es bedarf dringend politischer Regelung“

Medizintourismus Schätzungen zufolge reisen pro Jahr 250.000 ausländische PatientInnen für Behandlungen nach Deutschland. Kliniken und Vermittler können gut an ihnen verdienen. Klare Regeln fehlen aber, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Jens Juszczak

Arabische Touristen in München Foto: Frank Leonhardt/dpa/picture alliance

Interview Laila Oudray

taz: Herr Juszczak, wie viele Medizintouristen gibt es in Deutschland pro Jahr?

JensJuszczak:Das ist schwierig zu sagen, weil beispielsweise die ambulant Behandelten nirgendwo erfasst werden. Aufgrund verschiedener Daten schätzen wird, dass mehr als 250.000 PatientInnen aus dem Ausland jährlich zur stationären oder ambulanten Behandlung nach Deutschland kommen. Die tatsächliche Zahl dürfte aber noch höher sein.

Was verdienen die Kliniken?

Auf den ersten Blick verdienen sie wenig daran, denn laut Krankenhausentgeltgesetz müssen ausländische PatientInnen genauso abgerechnet werden wie deutschen PatientInnen. Allerdings entstehen bei der Abwicklung und Betreuung internationaler PatientInnen deutlich höhere Kosten, zum Beispiel für Übersetzungen, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder kulturspezifische Besonderheiten wie Halal-Essen. Diese höheren Aufwendungen sind in den Abrechnungsregelwerken nicht erfasst, sodass die Kliniken und Ärzte nach eigenem Ermessen dafür höhere Beträge abrechnen oder Servicepauschalen und ähnliches in Rechnung stellen.

Führt das zu Problemen?

Die Intransparenz bei der Abrechnung führt natürlich zu einer Verunsicherung bei Patienten und Kostenträgern, wenn mehrere Kliniken wegen einer Behandlung angefragt werden und die Kosten sich zum Teil um 100 Prozent unterscheiden. In einem von unserer Hochschule vor einigen Jahren durchgeführten Test variierten die Kosten für ein Magenkarzinom bei den Universitätskliniken zwischen 17.000 und 70.000 Euro. Zum einen sollen mögliche Kostenrisiken minimiert werden, zum andern geht es auch darum, die Einkünfte aus dem Medizintourismus zu maximieren.

Ist das Unsicherheit oder eher Vorsatz, was da hinter steckt?

Beides. Einerseits kann es aus medizinischen Gründen immer zu unerwarteten Kostensteigerungen kommen, die dann teilweise schon einkalkuliert sind. Andererseits versuchen viele Beteiligte vom Geschäft Medizintourismus zu profitieren. Wenn Unternehmen oder Einrichtungen beispielsweise Patienten aus dem Ausland in eine Klinik bringen, erhoffen sie sich in der Regel eine Vergütung. Obwohl Provisionen für Zuweisungen nach deutschem Recht verboten sind, vergüten nach wie vor medizinische Einrichtungen diese Leistungen, ob offen oder verdeckt. Zahlen müssen dies dann die PatientInnen oder die Kostenträger.

Foto: HBRS
Jens Juszczak

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Medizintourismus ist sein Forschungsschwerpunkt. In diesem Bereich ist er einer der führenden Experten in Deutschland.

Warum finden Vermittlungen trotz Verbot weiterhin statt?

Es gibt mittlerweile eine Reihe gesetzlicher Vorschriften, die besagen, dass die Vermittlung von PatientInnen gegen Entgelt nicht erlaubt ist. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht mehr passiert, denn in der Regel wird das nicht kontrolliert. Für die Vermittlungstätigkeiten wird weder eine spezielle Ausbildung noch eine Zulassung abverlangt. Jeder, der in diesem Bereich aktiv werden will, kann sofort damit beginnen und muss sich nirgendwo registrieren. Selbst ohne das geringste medizinische Wissen. Das kann gefährlich werden, wenn eine ungeeignete Therapie oder eine nicht spezialisierte medizinischen Einrichtung für die PatientInnen ausgesucht werden. Wenn zu hoch oder doppelt – gegenüber der Klinik und dem Patienten – abgerechnet wird sowie bestimmte Einkünfte unter Umständen nicht versteuert werden, entsteht zudem ein ökonomischer Schaden beim Kostenträger und bei der öffentlichen Hand.

Was muss geschehen?

Aus meiner Sicht bedarf es dringend politischer Regelung in den Bereichen Leistungsvergütung und Zulassung von Vermittlern. Selbst die Landesrechnungshöfe und Finanzbehörden vertreten mittlerweile eine gänzlich andere Auffassung zur Abrechnung internationaler PatientInnen als das Bundesgesundheitsministerium. Klare Regelungen, die sich an den Gegebenheiten in der Praxis orientieren, könnten helfen, einen Großteil der Konflikte in diesem Bereich zu vermeiden. In Israel wird beispielsweise derzeit eine solche gesetzliche Regelung für den Medizintourismus von verschiedenen Ministerien gemeinsam entwickelt. Das könnte ein Vorbild für Deutschland sein.

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