Frankreichwahl

Die Kandidaten der etablierten Parteien wurden abgestraft. Der Trend geht durchs ganze Land, durch alle sozialen Schichten

Ost-West-Konflikte

Geografie Zwei Hälften, ach, in einem Land! Wie erklärt sich das Wahlverhalten der Franzosen?

PARIS taz | Frankreich ist heute im wahrsten Sinn ein zweigeteiltes Land. Der Osten hat Marine Le Pen bevorzugt, der Westen dagegen Emmanuel Macron (siehe Karte).

Der Linksliberale hat überall dort gewonnen, wo traditionell die Linke (Sozialisten, Kommunisten, linke Radikale) seit Jahrzehnten besonders stark waren: Entlang der Atlantikküste bis zur spanischen Grenze, im Südwesten und in der Normandie sowie in Paris und Umgebung. Auch in den meisten größeren Städten liegt Macron vorn, während Le Pen oft auf hinteren Plätzen landete. In Toulouse, Grenoble oder Marseille dagegen haben die Wähler Jean-Luc Mélenchon vorgezogen. François Fillon ist in Savoyen, in der Lozère sowie in drei ländlichen Departements rund um seinen Wahlkreis der Sarthe in Führung.

Der ganze Norden, vom Elsass über Lothringen bis an den Ärmelkanal, fast ganz Mittelfrankreich und die südöstliche Mittelmeerregion samt Hinterland haben dagegen die FN-Kandidatin an die Spitze gesetzt. Meist sind es Wahlkreise, die bereits als Hochburgen der extremen Rechten galten oder in denen der Front National bereits bei Wahlen in den letzten Jahren kräftig zugelegt hatte. Ihre besten Ergebnisse hat die FN-Kandidatin mit 30 bis 33 Prozent in den Ardennen und der Haute-Marne geholt, die an bisherige FN-Hochburgen angrenzen. Es sind Gegenden, die keine ex­treme Arbeitslosigkeit haben, aber wirtschaftlich und in­frastrukturell zusehends veröden.

Die Feinanalyse lässt im Wahlverhalten keine klare Spaltung zwischen dem ländlichen und dem urbanen Frankreich erkennen, obwohl die FN-Ergebnisse in Großstädten und deren Umgebung sehr deutlich unter dem Landesdurchschnitt bleiben. In der Hauptstadt Paris kam Le Pen mit nur knapp 5 Prozent nur auf den fünften Platz. Politische Traditionen, die meist auf die Vorkriegszeit oder auf die Zeit der Widerstandsbewegung gegen die Nazis zurückgehen, spielen immer noch eine große Rolle.

Das gilt auch für die tradi­tionell rechts bis rechtsextrem wählende Côte d’Azur und den „roten“ Südwesten. An der Mittelmeerküste etwa haben sich nach dem Algerienkrieg sehr viele europäische „Pieds noirs“ angesiedelt, die aus Opposition gegen die algerische Unabhängigkeit bis heute rechts wählen. Die Landstriche in den Pyrenäen dagegen haben nach dem Spanischen Bürgerkrieg republikanische und anarchistische Flüchtlinge aufgenommen und tendieren nach links. Auch die Epoche der Religionskriege oder die Unterdrückung regionaler Eigenheiten (in Ok­zitanien und in der Bretagne) hat Spuren hinterlassen, die sich bis heute auf das Wahlverhalten auswirken. Rudolf Balmer