Und mit den Bässen kommt der Bewusstseinsstrom: Kendrick Lamar und sein neues Album, „Damn“
: König auf Sinnsuche

King Kendrick bei einem Auftritt in Austin, 2016 Foto: Jack Plunkett/ap/picture alliance

von Jens Uthoff

Vor wenigen Jahren noch galt Kendrick Lamar als „neuer König des Westcoast-HipHop“, Szenegrößen wie Snoop Dogg und Dr. Dre hatten ihn nach einem sagenumwobenen Auftritt im Jahr 2011 dazu auserkoren. Heute ist der 29-Jährige eine der prägendsten Figuren der Popwelt und eine prominente politische Stimme der Black Community in den USA. Nach seinem 2015er-Album „To Pimp a Butterfly“, einer knapp 80-minütigen Freejazz-Funk-Soul-HipHop-Sause, lagen Kritiker und Fans ihm zu Füßen. David Bowie huldigte ihm, Barack Obama empfing ihn – und wer konnte, der kollaborierte mit ihm.

Ein Großereignis also, wenn King Kendrick ein neues Album veröffentlicht. Seit gestern Morgen ist es in der Welt. „DAMN.“ heißt es einfach nur. In großen Lettern aufs Cover geschrieben, ein Punkt dahinter. Verdammt. Darunter eine Close-up-Aufnahme Lamars, in ein blütenweißes T-Shirt gehüllt, den Kopf gesenkt, paralysiert aus halb geöffneten Augen dreinblickend.

Welch Kontrast zum Titelbild von „To Pimp a Butterfly“! Darauf hatte er eine schwarze Gang vor dem Weißen Haus abgebildet, ein Teil davon die Arme hochreißend, einen weißen Richter zu ihren Füßen. Ein Zeichen der Stärke. Nun ein Cover, das schlicht ist und an HipHop-Klassiker der Achtziger von N.W.A. bis Eazy-E erinnert. Das Motto: Gesicht zeigen.

Vierzehn Stücke in 55 Minuten sind auf „Damn.“ zu hören, die Titel bestehen jeweils nur aus einem Wort und spielen auf die großen Themen der Kunst und des Menschseins ab („Blood“, „Lust“, „Fear“, „Pride“). In den Lyrics, vielleicht geschliffener denn je, behandelt Lamar mehr als zuletzt tief empfundene Ratlosigkeit und Apathie angesichts der Zustände in seinem Heimatland, auf der Welt („Feel“).

Auffälliger als auf den vorangegangenen Alben – sein Durchbruchsalbum „Good Kid m.A.A.d city“ (2012) begann mit einem Gebet – sind die christlichen Motive, die sich wie ein roter Faden durchs Album ziehen. Angedeutet hatte sich das im Clip zum „Humble“, in dem Lamar als Priester und am Tisch beim letzten Abendmahl zu sehen ist. „Ain’t nobody praying for me?“, fragt er nun mehrmals auf „Damn.“ Ein Sample spielt auf das 5. Buch Mose an („Fear“).

Musikalisch ist Reduktion das Gebot der Stunde. Der Freejazz-Einfluss ist weitestgehend verschwunden, alle Stücke sind zwischen R’n’B, HipHop, Soul und Funk anzusiedeln. Irre Wendungen, tolle Steigerungen sind weiterhin angesagt. Bei „DNA“ kommt gegen Ende mit den Bässen der dahingerappte Bewusstseinsstrom, in „Element“ changiert er virtuos zwischen straightem Sprechgesang und einem cremig-groovenden R‘n’B-Refrain, der den Rezensenten schon am frühen Karfreitagmorgen in Wallung bringt.

Gleich im ersten Stück, „Blood“, setzt sich Lamar mit der Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft und seiner eigenen Rolle auseinander. Darin sampelt er eine Tonspur aus der Grammy-Übertragung des Senders Fox News im Jahr 2015. Lamar hatte damals bei der Preissverleihung in seiner Performance gegen Polizeigewalt demonstriert. Der stockkonservative Republikaner Geraldo Rivera hatte daraufhin gesagt, Lamars Lyrics hätten „jungen Afroamerikanern mehr Schaden zugefügt als der Rassismus in den letzten Jahren“. Verdammt.

Der cremig-groovende R’n’B-Refrain bringt einen am frühen Karfreitagmorgen in Wallung

Auf „Damn.“ wechseln sich knallige Tracks wie „DNA“ oder „Humble“ ab mit zurückgelehnten Stücken, in denen der Wort­akrobat mal Luft holt. Noch nicht erwähnt wurde, dass Rihanna und U2 bei zwei Stücken mitwirken. Das Duett mit der Popqueen ist erwartbarer zeitgenössicher Mainstream-Pop und eher als Statement wichtig („Loyalty“ fordert es). Dass Bono Vox ein paar bonovoxmäßige Verse in „XXX“ singt: Nun ja.

Zum ersten Mal kommt bei einem Album Lamars der Eindruck auf, als sei es zu lang. „God“ und „Love“ klingen so, wie aktueller US-Hochglanz-Pop eben klingt, dafür braucht man eigentlich keinen Hochbegabten wie Lamar.

Interessant ist, dass der religiöse Duktus nicht oder nur bedingt nervt. Das liegt daran, dass „Damn.“ auch als Album über grundlegende Zweifel gelesen und gehört werden kann. Der Religionsbezug lässt sich auch als Sinnsuche, als spirituelles Grübeln, als bloße Besinnung deuten. Von alldem kann die Welt gerade gar nicht genug gebrauchen.

Kendrick Lamar: „Damn.“ (Universal)