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„Obszön und gierig“

Untreue Das Landgericht Frankfurt verurteilt zwei Firmengründer zu achteinhalb Jahren Haft. Als Betrug sehen die Richter das Schneeballsystem der Angeklagten aber nicht an

Der Angeklagte Stephan Schäfer am Mittwoch vor Gericht Foto: Arne Dedert/dpa

aus Frankfurt am Main Christoph Schmidt-Lunau

Achteinhalb Jahre Haft für die Gründer des Immoblienunternehmens S&K, Stephan Schäfer und Jonas Köller, vier bis sechseinhalb Jahre für ihre Helfer: So lautete das Urteil des Frankfurter Landgerichts am Mittwochvormittag. Die Strafkammer erkannte auf Untreue sowie Anstiftung und Beihilfe zur Untreue.

Mit der Gründung eines Firmengeflechts hatten Schäfer und Köller Millionen aus ihnen anvertrauten Vermögen für sich abgezweigt; die Anklageschrift bezifferte den Schaden auf 240 Millionen Euro. Kriminelle Energie attestierte der Vorsitzende Richter Alexander El Duwaik den Angeklagten. „Viele Anleger haben viel Geld verloren, die Geschichte war keine glorreiche“, sagte er.

Da die Hauptangeklagten seit mehr als vier Jahren in Untersuchungshaft saßen, hob das Gericht am Mittwoch trotz des Urteils die Haftbefehle auf. Die Firmengründer konnten das Gericht als freie Bürger verlassen. Da für sie eine Freilassung nach der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe infrage kommt, müssen sie wohl nicht zurück ins Gefängnis.

Mit dem Urteil finden der spektakuläre Aufstieg und Fall eines beispiellosen Immobilienunternehmens ein vorläufiges Ende. Schäfer und Köller – ein „abgebrochener“ Maurerlehrling und ein BWL-Student ohne Abschluss – hatten es jung zu einem beachtlichen Vermögen gebracht. Sie kauften bei Zwangsversteigerungen Immobilien und verkauften sie mit Gewinn weiter. Doch bald strebten sie nach Höherem – mithilfe eines Schneeballsystems.

„Berauscht von der vermeintlichen eigenen Genialiät“, so Köller später in seinem Geständnis, drehten sie seit ihrem Umzug in eine noble Gründerzeitvilla in Frankfurt am Main am ganz großen Rad. Sie übernahmen und gründeten Anlagefonds und schufen ein von außen undurchsichtiges Unternehmensgeflecht. Sie verkauften Grundstücke und Immobilien zum Teil zu heftig überhöhten Preisen hin und her. Fällige Auszahlungen an Anleger bedienten sie aus dem künstlichen Wertzuwachs und ungesicherten Krediten, Millionen flossen in die eigene Kasse.

Die beiden Gründer sonnten sich jahrelang im Glanz öffentlicher Anerkennung und prahlten mit ihrem Wohlstand. Ihr Fuhrpark bestand aus exklusiven Nobelkarossen. Die Selfmademen feierten rauschende Partys, bei denen der Champagner in Strömen floss und leicht bekleidete Models posierten.

Anfang 2013 beendeten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen das Treiben. Seitdem saßen die Hauptakteure in Untersuchungshaft. Von bandenmäßigem Betrug hatte die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift gesprochen. Es folgten mehr als 100 zähe Verhandlungstage, geprägt von gegenseitigen Vorwürfen, Befangenheits- und Beweisanträgen. Lange sah es so aus, als würde dieser Prozess nie zu einem Ende kommen. Erst als Oberstaatsanwalt Noah Krüger, der im Mai 2016 das Verfahren übernommen hatte, einen Deal anregte, ging es voran.

Als Gegenleistung für umfassende Geständnisse bot er die Festlegung eines Strafrahmens an. Die Hauptangeklagten, das Gericht und die Anklagevertreter einigten sich. Fallengelassen, weil schwer nachzuweisen, wurde der Vorwurf des bandenmäßigen Betrugs; die Angeklagten gestanden vorsätzliche Untreue zum Schaden der Anleger. Schäfer räumte ein, „gierig“ gehandelt zu haben. Er schäme sich für die „obszöne Zurschaustellung von Reichtum“ und die geschmacklosen Partys. Köller nannte seine Geschäftsidee „schäbig und einfallslos“.

„Meiden Sie in Zukunft diese Community!“

Richter Alexander El Duwaik

Mit den verhängten Strafen blieb die Kammer an der unteren Grenze des vereinbarten Strafrahmens. Auch die Haftverschonung der Angeklagten war keine Überraschung. Die Staatsanwaltschaft selbst hatte sie beantragt.

„Wie die Biene sticht die Justiz am Ende“, sagte der Vorsitzende in seiner zweistündigen Urteilsbegründung; erst mit dem Urteil könnten RichterInnen ihre Zurückhaltung aufgeben, ohne Befangenheitsanträge zu riskieren. Und El Duwaik stach zu, vor allem gegen die Vertreter der Staatsanwaltschaft aus der Anfangsphase des Prozesses. Er erinnerte an die 3.150 Seiten starke Anklageschrift, „wohl einmalig in Deutschland“. Die Staatsanwaltschaft selbst hatte zu Prozessbeginn darauf bestanden, dass 1.200 Seiten Wort für Wort verlesenen wurden.

Das musste schiefgehen. Die ersten Prozesstage glichen einer Schlacht. „Allein die Befangenheitsanträge füllen fünf Leitz-Ordner“, berichtete der Vorsitzende. Er erinnerte daran, dass die Kammer bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung und noch einmal im Sommer 2015 angeregt habe, einen pragmatischen Weg zur Abkürzung des Verfahrens zu suchen. Doch erst nachdem ein neues Team von Staatsanwälten das Verfahren übernommen habe, sei es vorangegangen.

Den Verurteilten empfahl der Vorsitzende schließlich, ihr Talent in Zukunft anders zu nutzen. Auf ihrem Weg im grauen Kapitalmarkt seien die Angeklagten indes nicht allein unterwegs gewesen. „Rechtsanwälte, Notare, sogenannte Sachverständige, Wirtschaftsprüfer und sonstige Glücksritter“ hätten daran verdient. „Meiden Sie in Zukunft diese Community“, sagte der Vorsitzende, „gehen Sie Ihren eigenen Weg.“ Schäfer will nun ins Management eines Fitnesscenters eintreten, Köller will sein abgebrochenes BWL-Studium wieder aufnehmen.

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