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Justiz Kaum Beweise, kein Motiv: Der langwierige Indizienprozess um den Brand des Kaufhauses „Harms am Wall“ endet mit FreisprüchenHarmlos am Wall

Das 1909 erbaute Harms-Gebäude wurde im Mai 2015 durch Brandstiftung zerstört Foto: Florian Kater/dpa

von Gareth Joswig

Freispruch für beide Angeklagte im Prozess um den Brand des Kaufhauses „Harms am Wall“: Das Landgericht Bremen hat damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung entsprochen, die beide in ihren Schlussvorträgen einen Freispruch für Hans E. und seinen Mitangeklagten M. beantragt hatten. Schon am Mittwoch sah der Hauptangeklagte E. siegesgewiss aus: Wo andere sich eine Aktenmappe vors Gesicht halten, lächelte der 64-Jährige in die Kamera, scherzte mit den Fotografen und seinem Anwalt.

Einen Tag später sah das wieder ganz anders aus: Nachdem selbst die Staatsanwaltschaft am Donnerstag auf Freispruch plädiert hatte, war klar, dass es nun vorbei ist. Doch die Selbstsicherheit im Gesicht von E. war dennoch verflogen. Schon während des Schlussplädoyers seines Verteidigers Erich Joester weinte er. Und auch nach dem Ende des letzten Verhandlungstages vor dem Urteil hatte E. Tränen in den Augen. Er sagte: „Es ist eine Erleichterung.“

Fünf bis 15 Jahre hatten ihm und dem Mitangeklagten M. gedroht. Für schwere Brandstiftung und Versicherungsbetrug. Die Staatsanwaltschaft hatte vergeblich versucht, in einem langwierigen Indizienprozess zu beweisen, dass E. zusammen mit einem Komplizen sein Kaufhaus „Harms am Wall“ angezündet hat, um die Versicherungssumme zu kassieren. Den Verdacht verwarf der Staatsanwalt Jan Möhle auch in seinem Schlussplädoyer nicht. Er glaube nach wie vor nicht an „die unglaubliche Verkettung von Zufällen“ und stellte weiterhin infrage, dass das Modekaufhaus gut lief. Er plädierte dennoch auf einen Freispruch: „In dubio pro reo“, sagte er – im Zweifel für den Angeklagten.

Denn nach acht Monaten Prozess blieb wenig von den Vorwürfen übrig. Handfeste Beweise für die Beschuldigungen konnte die Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht erbringen. Oder wie E.s Anwalt es formulierte: „Zwei Dinge liegen in Schutt und Asche: ‚Harms am Wall‘ und die Indizienkette der Ermittlungsbehörden.“

Die Beweislage war dünn: Eine Kölner Sportwissenschaftlerin wollte zwar erkannt haben, dass der Mitangeklagte M. dasselbe schlaffe Gangbild habe wie der von Videokameras festgehaltene Maskierte aus der Tatnacht, die juristische Glaubwürdigkeit ihres Gutachtens war jedoch spätestens dahin, als zwei vom Gericht auf Vorschlag der Verteidigung geladene Spezialisten ihre Darstellung abschwächten: Die Übereinstimmungen im Gangbild lassen sich zwar feststellen, ließen aber keinen Rückschluss auf die Identität des inzwischen Freigesprochenen zu. Ohnehin sei es nicht mehr Stand der Wissenschaft, ein Gangbild zur Identitätsfeststellung zu erstellen, sagte der Biologe Oliver Ludwig, der über visuelle Ganganalyse promoviert hatte. Ein weiterer Spezialist vom Bundeskriminalamt sagte ähnlich aus.

Die Beweisaufnahme zu einem weiteren Indiz verlief noch haarsträubender: Ein altes Video sollte laut Staatsanwaltschaft Hans E. und seinen angeblichen Komplizen M. bei der Tatortbegehung zur Planung der Brandstiftung gezeigt haben. Die Kamera fing das Gesicht von M. ein und zeigte dessen Sprechbewegungen. Eine von der Polizei befragte Lippenleserin wollte darin ein „Ich glaub, das wird nicht einfach – wegen der Kamera“ gelesen haben.

Vor Gericht konnte sie ihre Polizeiaussage jedoch nicht wiederholen. Die zum Zeitpunkt der Vernehmung 76-Jährige kann nicht mehr hören, seitdem sie zwei Jahre alt ist und unterrichtet Lippenlesen zum Hobby an der Volkshochschule. Sie sei jedoch infolge ihres Alters auf einem Auge erblindet, sagte sie in ihrer Aussage, und zwar auch schon zum Zeitpunkt ihrer polizeilichen Vernehmung. Darüber hinaus sei Lippenlesen sehr schwer, die schlechte Bildqualität des Videomaterials verbessere dies nicht unbedingt, wie die Zeugin sagte. Ganz nah ging sie vor Gericht an den Laptopbildschirm, um sich wieder und wieder eine paar Sekunden dauernde Sequenz anzuschauen – mit ernüchterndem Ergebnis für die Staatsanwaltschaft: Vor Gericht konnte sie nur sagen, dass der Angeklagte ein „Ich glaube, das wird nicht einfach“ herausgebracht habe. Nicht einfach ist auch, auf diese Aussage eine Anklage zu stützen.

„Zwei Dinge liegen in Schutt und Asche: ‚Harms am Wall‘ und die Indizienkette der Ermittler“

Erich Joester, Strafverteidiger

Zudem fiel das Motiv des Hauptangeklagten in sich zusammen, nachdem ein Wirtschaftsprüfer vor Gericht begutachtet hatte, dass E.s Modekaufhaus vor dem Brand gut lief und vor einer lukrativen Zukunft stand und damit auch die Aussagen des 64-jährigen Hauptangeklagten E. bekräftigte, der das Kaufhaus seine „Altersvorsorge“ nannte.

Im Schlussplädoyer gingen die entsprechenden Vorwürfe der Verteidigung erstaunlicherweise nicht in Richtung der Staatsanwaltschaft. Joester kritisierte deutlich die „einseitigen Ermittlungen“ der Polizei: „Die Polizei hat Entlastungsbeweise unterschlagen“, sagte er in seinem Schlussplädoyer. Die polizeiliche Befragung eines Kreditsachbearbeiters zur Bonität von E. habe ergeben, dass mit dessen Finanzen alles in Ordnung sei. Die Aussage sei jedoch nie in die Akten gelangt, lagen somit weder einem Haftrichter noch der Staatsanwaltschaft vor. Man habe nur berücksichtigt, was den vorgefertigten Tatverdacht bestätigt habe und dabei vernachlässigt, dass sein Mandant nicht von dem Brand profitiert habe.

Angesichts der mehrmonatigen U-Haft der Freigesprochenen, für die sie nun finanziell entschädigt werden, forderte Joester von der Polizei, den Fall nachzuarbeiten.

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