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Zweifel Hakan kifft zu viel, er klaut und prügelt sich. Halt findet er im Islam, eine Zeit lang zumindest. Irgendwann verschwindet sein Lächeln. Die Geschichte einer Radikalisierung

Hakan findet die Salafisten eigentlich sympathischer als die Schnösel in den moderaten Moscheen – bis auf die Gewalt Foto: Dimitri Otis/getty images

von Sascha Lübbe

Hakan sagt, er könne sich nicht entscheiden.

Die Typen in den moderaten Moscheen, das seien doch größtenteils Waschlappen. Elitäre Schnösel in schicken Klamotten. Gebildet, arrogant, verschlossen.

Die anderen aber, die Salafisten, die seien herzlich. Heißen einen mit offenen Armen willkommen, behandeln einen als Mann.

Das einzige Problem bei denen sei die Gewalt. Der Prophet habe Probleme ja auch nicht mit Gewalt gelöst, sondern mit Worten. Und überhaupt: Er könnte niemals einen Menschen töten, sagt Hakan und blickt entschlossen.

Vermutlich nicht ahnend, dass er sich neun Monate später auch da nicht mehr sicher ist.

Was sind das eigentlich für Typen, die sich radikalisieren? Wie werden aus vermeintlich normalen Bürgern Islamisten? Und was wissen wir wirklich über diese Leute, die in westlichen Gesellschaften leben, deren Ordnung aber ablehnen?

Das erste Treffen, Mai 2016, ein Café im Wedding. Hakan, der eigentlich anders heißt, ist 35, muskulös, glattrasiert, zwischen den Fingern glimmt ein Zigarillo. Einer, der oft lacht. Eigentlich ein sympathischer Typ. Und dennoch einer, bei dem man nicht so richtig weiß. Der ständig irgendwelche Sätze zitiert, aber nicht mehr sagen kann, von wem sie stammen. „Ich bin so einer“, sagt Hakan, „ich gehe gern mit anderen mit. Das war schon immer so.“

Hakan kommt aus dem Wedding, einem der ärmsten Stadtteile Berlins. Er ist das jüngste von sechs Kindern, das schwarze Schaf. Ständig gibt es Stress mit den Eltern, Einwanderern aus der Türkei, die hier als Putzkräfte arbeiten. Es sind moderate Muslime, die wollen, dass ihre Kinder in die Moschee gehen. Aber Hakan sträubt sich.

Beten gegen die Krankheit

Stattdessen: trinkt und kifft er, prügelt sich. Versucht das Abi­tur, schafft es nicht. Beginnt eine Ausbildung als Erzieher, bricht ab. Eine Ausbildung als IT-Kaufmann, bricht wieder ab. Schuld, sagt er, waren meist Mädchen; deutsche Mädchen aus guten Verhältnissen. „Schlampen“, so sieht er es heute, „Opfer“. „Wenn ich Liebeskummer hatte, war ich der Ausländer, der überreagiert. Nie der Freund, mit dem man reden sollte.“

Was bleibt, ist die Straße, sind die Jungs. Sie sind zu siebt, fast alle Kinder von Migranten. Sie werden irgendwann kriminell, und Hakan – läuft erst mal mit. Seine Kumpels brechen in Wohnungen ein, überfallen Tankstellen; er, der Fahrer, wartet im Fluchtwagen. Nur einmal ist er direkt mit dabei. Die Gruppe will ein Büro ausräumen, wird im Hausflur aber von einem Nachbarn überrascht, muss fliehen. Zurück im Auto, bekommt Hakan erst Herzrasen, dann ein schlechtes Gewissen. Dann beschließt er, das mit den Einbrüchen zu lassen. Auch weil die inneren Stimmen immer lauter werden: Ist das wirklich der richtige Weg?

Laut Verfassungsschutz sind es meist Kontakte zu Freunden, die am Anfang einer Radikalisierung stehen. Bei Hakan sind es vor allem Respektspersonen.

Ziad* zum Beispiel. Der Sprössling einer arabischen Großfamilie ist drei Jahre älter und eine echte Kiezgröße. Einer, der sein Geld mit krummen Geschäften verdient. Das ändert sich, als er plötzlich anfängt, zu beten, zu fasten, Diskos zu meiden. Die Jungs respektieren ihn dafür. Ziad ist der erste Katalysator.

Der zweite ist die Krankheit. Mit Ende 20 rutscht Hakan in eine tiefe Depression. Er lebt zu dieser Zeit allein in Charlottenburg, kifft zu viel, geht zu selten raus, führt irgendwann Selbstgespräche. Zwei Wochen muss er deshalb ins Krankenhaus. Die Depression, sagt Ziad, schickt der Schaitan, der Teufel. Da hilft nur eins: beten.

Und so beginnt, was Hakan seine „Moscheewanderung“ nennt. Er besucht Koranstunden, spricht mit Imamen. Schnell entwickelt er Präferenzen. Mit den Hodschas, Islamgelehrten in türkischen Moscheen, kann er nichts anfangen. Zu alt, zu abgehoben, die meisten sprechen nicht mal Deutsch. Die Salafisten aber erreichen ihn. Sie haben auf alles eine Antwort, auch auf den Tod. Den fürchtet Hakan wie nichts anderes.

Für ihn ist es ein klarer Cut. Er kifft nicht mehr, denn beten erfordert einen klaren Kopf. Respektiert seine Eltern, denn das steht im Koran. Prügelt sich nicht, denn er strebt nach ­Barmherzigkeit. Er schaut jetzt Videos über den Propheten, einen Mann, der sich nicht von seinem Zorn hinreißen ließ. Ein Vorbild. Und ein Vorbild zu haben, sagt Hakan, „macht das ­Leben leichter“. Es ist eine Phase der Reflexion, des Friedens.

Eine Phase, wie es sie in den Biografien von vielen Radikalisierten gibt. Der Moment, in dem haltlose Menschen einen Platz finden. Regeln, an denen sie sich orientieren können. ­Einen Rahmen, einen Sinn. Das Problem ist nur: Einigen wird der Rahmen bald zu eng.

Hakans Freund Ziad zum Beispiel. Seine Ansichten werden immer extremer, es dauert nicht lange und er hat in vielen Moscheen Hausverbot. Bald sympathisiert er mit dem IS. ­Hakan wird das zu krass, die beiden verlieren sich aus den Augen.

Doch der Kontakt zur Szene bleibt. Es sind zwei andere Männer, Bekannte von Ziad, die ihn jetzt in die Moscheen schleifen. In die Fussilet 33, in der später auch Anis Amri sitzt, in die Ar-Rahman-Moschee, sie ist inzwischen geschlossen. Die beiden kommen sogar zu ihm nach Hause, zeigen ihm Videos aus Syrien. Von Assad, dem „alawitischen Schlächter“, der sunnitische Frauen und Kinder bombardiert. Siehst du, was mit den Muslimen geschieht?, fragen sie Hakan. Willst du denn gar nichts tun?

Und Hakan schluckt. „Ich bin so einer“, sagt er. „Bei mir funktioniert so was.“

Ob er sich denn grundsätzlich vorstellen könne, in den Dschihad zu ziehen?

Hakan verneint. „Wenn man einen Menschen tötet, ist das, als ob man die ganze Menschheit tötet“, zitiert er den Koran. Und schiebt hinterher, dass der wichtigste Dschihad der innere Dschihad sei, der Kampf gegen die eigenen Schwächen.

Dann muss er gehen.

Hakan versteht. Dschihad

Neun Monate später, im Februar 2017, sieht das alles schon anders aus. Hakan ist ernster geworden: Das Lächeln ist verschwunden, ein Vollbart umrahmt jetzt sein Gesicht.

Wir sitzen wieder im Café. Nein, sagt Hakan, „seine“ Moschee habe er noch immer nicht gefunden, er habe sich aber damit arrangiert. Er erzählt von einer neuen, verhältnismäßig moderaten Moschee, die er jetzt besucht. Erwähnt aber auch einen salafistischen Prediger, der ihn fasziniert. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen.

Sie zeigen ihm Videos aus Syrien. Siehst du, was mit den Muslimen geschieht?, fragen sie. Willst du denn gar nichts tun?

Der Mann ist Prediger in einer Weddinger Moschee. Füllig, Mitte 30, langer schwarzer Bart. In den Videos, die er ins Netz stellt, fordert er die völlige Unterwerfung unter Allah. „Wie viele von euch würden gern zwei oder drei Frauen haben“, fragt er seine Zuschauer. „Dafür müsst ihr aber alle Pflichten eines Moslems erfüllen. Nicht nur einen Teil davon.“ Worin der andere Teil besteht, sagt er nicht.

Aber Hakan versteht ihn, auf seine Art. Für ihn bedeutet es Dschihad. Richtiger Dschihad. „Ich bin jetzt einfach eine Stufe weiter“, sagt er. Attentate lehne er zwar ab. Und es sei auch falsch, Menschen zu töten. Seine Religion aber würde er inzwischen verteidigen, um jeden Preis.

Auch wenn dadurch andere Menschen sterben?

Hakan nickt. Auch dann.

Woher der Sinneswandel? Der Psychologe Jérôme Endrass von der Universität Konstanz hat die Biografien von Islamisten untersucht. Um den Dschihad zu legitimieren, sagt er, greifen einige von ihnen auf „implizite Theorien“ zurück. Hilfskonstrukte, mit denen sie ihr Handeln vor sich selbst rechtfertigen können. Am Anfang fühlen sie sich als Muslime zwar diskriminiert, lehnen Gewalt aber ab. Dann wollen sie zumindest ein Zeichen setzen. Wenn sie aber merken, dass das nichts bringt, wollen sie sich wehren. „Am Anfang steht meist der defensive Dschihad, etwa der Angriff auf amerikanische Militäreinrichtungen“, sagt Endrass. „Von da geht es für einige weiter zum offensiven Dschihad, zum Krieg gegen jeden.“

Und Hakan? Ist er wirklich so weit? „Der IS ist furchtbar, der tötet andere Muslime, das ist kein Dschihad“, sagt er. „Aber was ist mit den Taliban? Was ist an denen eigentlich so schlecht?“

Nach kurzem Überlegen aber winkt er ab. Er würde ja eh nicht gehen.

„Wer viel redet, handelt nicht“, sagt Hakan.

Das hat er irgendwo gehört.

Dieser Text erschien in der Zitty

* Name geändert

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