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Umzug kommt nicht infrage

Wohnen I Immer schlechtere Wohnlagen und Überbelegung: Das ist die nächste Stufe der Gentrifizierung. Der fehlende Leerstand ist dabei das größte Problem. Selbst da, wo man es nicht vermutet – am Stadtrand in Spandau

Von Dinah Riese (Text) und Sebastian Wells (Foto)

Grell leuchten die bunten Hochhäuser in der Heerstraße Nord, einer Großsiedlung am westlichen Stadtrand Berlins. 22 Stockwerke hoch erheben sie sich, umgeben von mehrgeschossigen 70er-Jahre-Bauten. Mehr als 18.000 Menschen leben in der Siedlung, die im Spandauer Ortsteil Staaken liegt. Ginge es nur nach der Nachfrage, wären es noch deutlich mehr – obwohl die Heerstraße trotz angrenzender Döberitzer Heide nicht unbedingt das ist, was man sich unter einer „Traumlage“ vorstellt. Doch freie Wohnungen sind in Berlin Mangelware. Selbst am Stadtrand sind sie nicht mehr so ohne Weiteres zu ergattern.

„Die vermittelbaren Wohnungen, die wir dort haben, sind weitestgehend vermietet“, sagt Josiette Honnef von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Der Gesellschaft gehört rund ein Drittel der etwa 8.000 Wohnungen in der Heerstraße Nord. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum werde immer größer. In den letzten drei Jahren habe es konstant mehr Bewerber_innen als zu vermietende Wohnungen gegeben, sagt Honnef. Tatsächlich fand sich zum Beispiel im Dezember für den gesamten Bezirk Spandau kein einziges Wohnungsangebot auf der Gewobag-Website – Mitte März sind es gerade mal drei.

Anfang der 2000er Jahre sah das noch ganz anders aus. Damals standen in der Heerstraße Nord 18 Prozent der Wohnungen leer. Doch während die Mieten überall in Berlin enorm stiegen, schrumpfte die Zahl leerer Wohnungen an den Stadträndern zusehends. Im Jahr 2012 waren es für das Gebiet Heerstraße Nord nur noch etwa 3 Prozent – und selbst das scheint aus heutiger Sicht reichlich.

Der fehlende Leerstand ist stadtweit ein Problem. 2011 lag er berlinweit immerhin bei noch 3,5 Prozent. Die Zahl hat sich bis zum Jahr 2015 etwa halbiert. Die Großbausiedlung in Spandau ist keine Ausnahme, sondern die Regel: Auch im Ortsteil Hellersdorf am östlichen Stadtrand sank der Leerstand innerhalb von zehn Jahren um ganze 11,2 Prozent – auf gerade noch 1,4 Prozent im Jahr 2015. Das liegt sogar knapp unter dem stadtweiten Durchschnitt.

Die Wohnungswirtschaft spricht bereits ab einem Leerstand von 2 bis 3 Prozent von Vollvermietung. Dies ist die Schwelle, an der noch ausreichend Mobilität auf dem Wohnungsmarkt möglich ist. Wer umziehen möchte, findet eine Wohnung und gibt dadurch seine wieder frei. Auch Sanierungsarbeiten, die Wohnungen zwischenzeitlich dem Markt entziehen, stellen mit einem solchen Puffer kein Problem dar. Ist dieser jedoch nicht vorhanden, kommt die Bewegung innerhalb der Stadt zum Erliegen.

Die Konsequenz: Man rückt zusammen. Der Wohnraum muss reichen, egal, wie eng es ist. Dabei spielt keine Rolle, ob inzwischen Nachwuchs da ist. Paradoxerweise zwingen die steigenden Mieten Menschen aber auch, in zu großen Wohnungen zu bleiben. Ein Witwer etwa würde gern in eine kleinere Wohnung ziehen, seine große würde frei werden. Doch eine Einzimmerwohnung zum heutigen Mietniveau wäre viel teurer als seine alte Wohnung. Zu solchen Konditionen kommt ein Umzug kaum infrage.

Immer schlechtere Wohnlagen und Überbelegung: Das ist die nächste Stufe der Gentrifizierung. Sie zeichnet sich nicht mehr nur dadurch aus, dass die Verdrängten ihre Kieze verlassen müssen. „Innere Verdrängung“, so nennt der Stadtforscher Sigmar Gude das Phänomen deswegen, „Verdrängung aus dem Lebensstandard“, sagt der Stadtsoziologe und Gentrifizierungskritiker Andrej Holm dazu. Wie schwerwiegend die Folgen der Gentrifizierung tatsächlich sind – das wird erst jetzt so richtig deutlich.

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