Vom Brexit zum „Scexit“

Grossbritannien Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon startet einen Vorstoß für ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Aber viele Fragen sind offen

Die Haltung der Schotten zur Abspaltung von Großbritannien ist eindeutig Foto: Andrew Milligan/dpa

von Ralf Sotscheck

DUBLIN taz | Die Schotten sollen nach dem Willen der schottischen Regionalregierung erneut über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Premierministerin Nicola Sturgeon sagte am Montag, dass sie ein Referendum zwischen Herbst 2018 und Frühjahr 2019 anstrebe. Sie werde das Parlament in Edinburgh nächste Woche um die Erlaubnis bitten, ein solches Referendum in London zu beantragen. Das schottische Parlament kann einen solchen Volksentscheid nämlich nicht ansetzen – das darf nur das britische Parlament in London.

Sturgeon sagte, ihre Versuche, eine Sonderregelung für Schottland nach dem Brexit auszuhandeln, seien bei der Tory-Regierung von Premierministerin Theresa May in London auf „eine Mauer der Unnachgiebigkeit“ gestoßen. „Der Zusammenbruch der Labour Party bedeutet, dass wir vor einer langen Zeit der Tory-Herrschaft in London stehen“, sagte sie. „Manche prophezeien, dass sie bis 2030 oder länger an der Macht bleiben.“ Schottland müsse zwischen einem harten Brexit und der Unabhängigkeit wählen dürfen.

Zuvor müssen jedoch einige umstrittene Punkte geklärt werden. Zunächst muss der Zeitpunkt für ein Referendum ausgehandelt werden – vor oder nach dem Brexit? Zum anderen steht die Formulierung des Volksentscheids zur Debatte: Soll es, wie beim gescheiterten Referendum 2014, ein einfaches Ja oder Nein geben? Labour und Liberaldemokraten wollen, dass sich die Schotten auch für eine föderale Lösung entscheiden können.

Die wichtigste Frage betrifft die EU. Bliebe Schottland im Falle der Unabhängigkeit automatisch EU-Mitglied? Brüssel könnte die Antwort auf diese Frage vertagen, bis der Brexit vollzogen ist – zumal ein Ja der Schotten zur Unabhängigkeit Austrittsverhandlungen zwischen Edinburgh und London nach sich ziehen würde.

Darüber hinaus wäre die Währungsfrage noch schwieriger zu beantworten als 2014. Nach einem Brexit könnte Schottland als EU-Mitglied das Britische Pfund nicht beibehalten, sondern müsste entweder eine eigene Währung schaffen oder dem Euro beitreten.

Auch das wirtschaftliche Argument für die Unabhängigkeit ist durch den Einbruch des Ölpreises und versiegendes Nordsee-Öl schwächer geworden. Das schottische Haushaltsdefizit läge heute ohne die Zuschüsse aus London auf dem Niveau Griechenlands zum Höhepunkt der Eurokrise. Und was ist mit der Grenze? Diese Frage, über die in Irland derzeit heftig debattiert wird, würde sich auch in Schottland stellen.

Würden die Schotten überhaupt für die Unabhängigkeit stimmen? Sturgeon hatte bisher stets betont, dass sie erst dann für ein neues Referendum werben werde, wenn bei Meinungsumfragen 60 Prozent für die Unabhängigkeit eintreten. Das ist zurzeit nicht der Fall. Sollte auch ein zweites Referendum verloren gehen, wäre das Thema für Jahrzehnte vom Tisch.

Labour und Liberale wollen, dass auch eine föderale Lösung möglich ist

Eine Mehrheit der Schotten will keinen Volksentscheid, bevor der Brexit vollzogen ist, weil sie wissen wollen, woran sie sind. Die britische Regierung lehnte Sturgeons Pläne gestern als „spalterisch“ ab.

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