Sechs Jahre nach Fukushima: Wie ein Bummel in Tokio

Zum vierten Mal besucht der taz-Korrespondent in Japan das AKW Fukushima. Alles fein dort, behaupten zumindest die Betreiber.

Personen in einem Bus, die blaue Helme und Mundschutz anhaben und alle aus dem Fesnter schauen

Betreiber Tepco karrt Journalisten zum AKW Fukushima Foto: ap

FUKUSHIMA taz | Eine Filtermaske für Mund und Nase, ein Kopftuch, ein Helm, Stoffhandschuhe und zwei Paar Socken übereinander – mehr Schutz braucht der gewöhnliche Besucher des AKW Fukushima nicht mehr. Nur noch wenige Arbeiter müssen Gesichtsmasken und weiße Kunststoffanzüge tragen, seitdem fast alle freien Flächen auf dem Gelände mit Spraybeton versiegelt wurden.

„Die Strahlung ist jetzt so niedrig wie im Tokioter Einkaufsviertel Ginza“, versichert Tepco-Manager Yuichi Okamura. Doch als die Besucher aus ihrem Bus steigen und auf einer Anhöhe in Sichtweite der Reaktoren stehen, ist es mit der Illusion von Normalität vorbei. Die Dosimeter schlagen schrillend Alarm und zeigen 160 bis 170 Mikrosievert pro Stunde an, fast 2.000-mal mehr als normal. „Wir können hier nicht lange bleiben“, warnt Okamura.

Aus dieser kurzen Distanz verfliegt auch der erste Eindruck, die Aufräumarbeiten seien inzwischen weit gediehen. Die Reaktoren sind Ruinen geblieben, auch sechs Jahre nach der Katastrophe am 11. März 2011.

Der Anblick von skelettierten Stahlgerüsten, aufgerissenen Mauern und abgebrochenen Rohren ruft sofort die Erinnerung an den 17 Meter hohen Tsunami wach, der vor sechs Jahren die Anlage überschwemmte und die Elektrik komplett lahmlegte, sodass die Meiler unkontrolliert durchbrannten.

Die größte Baustelle Japans

Heute ist das Atomkraftwerk mit täglich 6.000 Arbeitern die größte und teuerste Baustelle Japans – und wird es noch Jahrzehnte bleiben. „Wir kämpfen mit vier Problemen“, zählt Tepco-Mann Okamura auf: „die Strahlung auf dem Gelände verringern, das einströmende Grundwasser stoppen, die verbrauchten Brennstäbe herausholen und den geschmolzenen Brennstoff bergen.“

Es geht nur langsam voran. Gerade bewegen sich zwei Kräne an Reaktor 1. Dort wird ein Gerüst um das eingestürzte Dach errichtet. Aber bis dessen Schutt weggeräumt ist, werden noch vier Jahre vergehen. Erst dann kann man die fast 400 alten Brennstäbe aus ihren Abklingbecken holen. Beim benachbarten Reaktor 2 ist die blaublasse Außenhülle noch intakt. Über eine neue Metallbühne auf halber Höhe der Fassade laufen Arbeiter in weißen Schutzanzügen.

Die Dosimeter schlagen schrillend Alarm, zeigen 160 bis 170 Mikrosievert an

Hinter der Mauer tobt die nukleare Hölle. Eine Kamera, die im Januar an einem elf Meter langen Stab ins Innere geschoben wurde, fand schwarze Klumpen der ausgelaufenen Brennstofflava auf einem Plattformgitter im äußeren Sicherheitsbehälter. In dem Bereich könnten sich normalerweise Menschen aufhalten. „Aber jetzt herrscht dort eine tödlich hohe Strahlung“, berichtet Okamura. Bis zu 60 Zentimeter tief könnte sich die heiße Lava in den zwei Meter dicken Betonschutzmantel hineingefressen haben.

Schnell wendet sich der Ingenieur Reaktor 3 zu. Dort ist der Fortschritt vorzeigbarer. Eine Wasserstoffexplosion hatte das Dach in ein vogelnestartiges Gewirr aus verbogenem Metall verwandelt. In jahrelanger Arbeit wurde dieser Stahlschrott abgebaut und die Trümmer darunter abtransportiert. „Nun bauen wir ein neues Dach mit einem integrierten Hebekran“, erzählt Okamura stolz.

Ab dem nächsten Jahr komme man endlich an die fast 600 abgebrannten Brennstäbe heran. Anders als bei Reaktor 4 läuft die Bergung ferngesteuert. Die Strahlung ist so stark, dass Menschen dort nur wenige Minuten bleiben können. Deshalb hat sich die Konstruktion der Hebevorrichtung bereits um mehrere Jahre verzögert.

Eismauer gegen Strahlenbrühe

Die Eindrücke der Besucher wecken Zweifel am offiziellen Optimismus für die Stilllegung der Anlage. Beim nächsten Stopp zeigt Okamura ihnen das Kontrollzentrum für die Eismauer, die auf 1,4 Kilometer Länge und bis in 30 Meter Tiefe im Boden rings um die Reaktoren verläuft.

Dank ihr fließt viel weniger Grundwasser in die Reaktorkeller hinein, wo es sich mit radioaktivem Kühlwasser vermischt. Aber an fünf Stellen bleibt die Mauer offen, weil die strahlende Brühe sonst im Untergrund zu versickern droht.

Trotz der Widrigkeiten wollen Regierung und Tepco im Sommer festlegen, wie der geschmolzene Kernbrennstoff aus den Reaktoren geholt wird. Selbst AKW-Chef Shunji Uchida kann seine Skepsis nicht verstecken. Roboter und Kameras hätten wertvolle Bilder geliefert, sagt Uchida: „Aber es ist immer noch unklar, was im Inneren wirklich los ist.“

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