piwik no script img

Putschisten mit Pleiten, Pech und Pannen

Kommandounternehmen Widersprüchliche Befehle, fehlende Zeit und fehlendes Fluggerät: Wie die Entführung Erdoğans im Juli 2016 gründlich misslang

Die Soldaten hatten ihre Handys abgeben müssen, sie wussten nicht, was im Land geschah

MARMARIS taz | Am Ende der Promenade, dort wo der Strand ausschließlich für Hotelgäste reserviert ist, steht das Hotel Grand Yazıcı. Hinter dem Haupthaus verstecken sich einzelne Villen in einem parkähnlichen Gelände, das sich an einem sanft geneigten Hang zum Strand hinzieht. Hier ist Exklusivität und Abgeschiedenheit garantiert, genau das, was der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Mitte Juli 2016 mitsamt seiner Familie suchte. „Ja, der Präsident war hier“, bestätigt der Manager. Mehr will er aber nicht sagen, sein Haus sei schon genug ins Gerede gekommen.

Die Elitesoldaten, die hier in der Nacht vom 15. zum 16. Juli Präsident Erdoğan verhaften und nach Ankara bringen sollten, hatten kein Glück mit dem Grand Yazıcı. Als sie nach stundenlangen Verzögerungen endlich mit ihren Hubschraubern in der Nähe des Hotels landeten, war Erdoğan längst weg. Stattdessen empfing sie ein Teil seiner Leibwache, als hätten sie auf die Kommandosoldaten gewartet. Bei dem anschließenden Schusswechsel wurden zwei der Polizisten getötet, was dem Kommando nun zusätzlich zur Last gelegt wird.

Das ganze Unternehmen war von Beginn an begleitet von Pleiten, Pech und Pannen. Als die Soldaten am Mittag des 15. Juli auf dem Luftwaffenstützpunkt Çiğli bei Izmir ankamen, war nichts vorbereitet, kein Hubschrauber, keine Piloten. Dann kamen den ganzen Tag und Abend über widersprüchliche Befehle. Die Soldaten hatten ihre Handys abgeben müssen, sie wussten nicht, was im Land geschah. Zuletzt warteten sie um 1 Uhr nachts so lange mit laufenden Rotoren, dass der Sprit knapp wurde.

Nachdem sich die putschierenden Elitekrieger um 3.30 Uhr morgens davon überzeugt hatten, dass die Erdoğan-Villa leer war, sollte es zurück zu Strand und Fluggerät gehen. Doch der Hubschrauber war nicht mehr da. Der Pilot hatte ihn schon zu einem Militärstützpunkt nach Bodrum geflogen. Die wütenden Soldaten mussten sich in die Büsche schlagen. Tagelang versteckten sie sich in den Wäldern von Marmaris, wo sie von ihren früheren Kameraden gejagt und festgenommen wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der angeblich nur knapp dem Tode entronnene Präsident Erdoğan die Putschnacht bereits zum Gründungsmythos der neuen türkischen Republik ausrufen lassen. Mehr als zehntausend Soldaten sitzen seitdem in Haft und warten auf ihren Prozess. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen