piwik no script img

Skijagd gegen das Vergessen

Stehvermögen Vor 25 Jahren wird die Thüringerin Antje Misersky Olympiasiegerin im Biathlon. Dabei schien ihre Karriere schon vorbei, nachdem sie sich geweigert hatte, am DDR-Dopingsystem mitzuwirken. Ihren kritischen Geist hat sie sich bewahrt

von Thomas Purschke

Im Februar 1992 gewann die 24-jährige Thüringer Biathletin Antje Misersky, heute Harvey, im französischen Albertville Gold über 15 Kilometer und schrieb als erste deutsche Biathlon-Olympiasiegerin Geschichte. Es waren die ersten olympischen Frauenwettbewerbe im Biathlon und auch der erste Auftritt der wiedervereinigten deutschen Olympiamannschaft. Vor allem ist die persönliche Geschichte Antje Miserskys und ihrer Familie einmalig.

Ihre Karriere war Mitte der achtziger Jahre eigentlich schon beendet, sie hatte in der DDR-Diktatur nicht die Konfrontation mit denen gescheut, die das Dopingsystem verantworteten. Ihre Dopingverweigerung führte zu Repressalien und 1985 zum Ausschluss aus dem Leistungssport. In Frankreich 1992 gab es dann ein Happy End. Sie gewann noch zweimal Silber – über 7,5 Kilometer und gemeinsam mit Uschi Disl und Petra Schaaf mit der Staffel. Bei der Schlussfeier durfte Antje Misersky die bundesdeutsche Fahne tragen.

Nach dem Einzelrennen war die Siegerin ihrem Vater Henner Misersky in die Arme gefallen. Ihm widmete sie das Gold. Vater und Tochter verbindet ein Schicksal. Weil er sich als Skilanglauftrainer im DDR-Sportclub Zella-Mehlis/Thüringen dem Staatsdoping verweigerte, war er 1985 fristlos entlassen. Er konnte es nicht verantworten, dem zuvor verkündeten DDR-Skiverbandsprogramm zu folgen, das auch den Einsatz von Hormonpräparaten vorsah.

Auch die Tochter wurde von Funktionären unter Druck gesetzt. Sie beendete ihre Karriere. Heike, die ältere Schwester von Antje, war bis zu Beginn der achtziger Jahre als gute Skilangläuferin aktiv. Die Stasi wollte, dass sie ihre Kameraden und die Familie bespitzelt. Sie erzählte den Eltern davon und distanzierte sich von den Stasiwerbern. Die ganze Familie in Stützer­bach im Thüringer Wald geriet in Sippenhaft.

Antje Misersky, die mit 17 bereits Bronze mit der DDR-Langlaufstaffel bei der WM 1985 in Seefeld holte, kam auf die schwarze Liste. Sie durfte als DDR-Meisterin im Skilanglauf den Titel nicht verteidigen. Die DDR-Presse schwieg dazu. Nur bei Volksläufen war ein Start noch möglich. Mutter Ilse, früher eine gute Leichtathletin, erinnert sich, wie viel Energie die Querelen mit den SED-Apparatschiks aufbrauchte.

Als Antje Misersky Olympiasiegerin wurde, nutzte sie das Medieninteresse, um auf Missstände aufmerksam zu machen

An eine Rückkehr in den Spitzensport dachte Antje nach ihrem Ausstieg „nicht mal im Traum“. Sie nahm ein Sport- und Pädagogikstudium in Potsdam auf. In der Freizeit trainierte sie dort viel auf Skirollern. Sich nicht dem Willen der Funktionäre und Ärzte der DDR unterworfen zu haben und „heute in den Spiegel schauen zu können“, sei für Vater und Tochter von großem Wert.

Ihr Comeback begann vor der Revolution. Nachdem im DDR-Armeesportklub Oberhof eine Frauen-Biathlon-Gruppe gegründet worden war, wurde Antje im Juli 1989 mangels Alternativen angesprochen. Nach langem Zögern folgte sie dem Rat des Vaters, es zu versuchen. „Vorausgesetzt, dass ohne Doping gearbeitet wird.“ Dass sie in die Nationale Volksarmee eintreten musste, „war damals ein riesiger Gewissenskonflikt“. Verknüpft mit dem Wiedereinstieg in den Spitzensport war der Fluchtgedanke bei einem Start im westlichen Ausland. Doch kurz darauf fiel am 9. November 1989 die Mauer.

Als sie 1992 Olympiasiegerin wurde, nutzte sie das Medieninteresse, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Mit ihrem Vater wies sie bei einem ARD-TV-Interview auf belastete DDR-Funktionäre hin, die vom Deutschen Skiverband mit dem damaligen Sportdirektor Helmut Weinbuch aus Bayern, trotz mehrfacher Beschwerden übernommen wurden. Darunter auch der dreifache DDR-Olympiasieger in der Nordischen Kombination von 1972 bis 1980, Ulrich Wehling. Der führte nach seiner Athletenkarriere „im DDR-Skiverband als stellvertretender Generalsekretär ein knallhartes Regime und trug Repressionen gegen Trainer und Sportler mit, die sich weigerten zu dopen, darunter auch Antje und ich“, sagt Henner Misersky.

Nach ihrem mutigen TV-Auftritt 1992 flatterten den Miserskys neben netten Briefen auch anonyme Morddrohungen ins Haus. Dass ausgerechnet DDR-Apparatschik Wehling (64 Jahre), im Dezember 2016 zum neuen Geschäftsführer des Thüringer Skiverbandes berufen wurde, ist für Vater und Tochter „skandalös“.

Der heute 76-jährige Henner Misersky kritisiert dies scharf: „Ich finde es bitter und feige und traurig, dass der Thüringer Skiverband dies zulässt.“ Nachdem Wehling im Deutschen Skiverband 1992 wegen der massiven Vorwürfe nicht mehr zu halten war, wechselte er damals ausgerechnet zum Welt­skiverband (FIS) in die Schweiz, wo er bis 2012 Renndirektor für die Nordische Kombination war.

Dass ein DDR-Apparatschik heute Geschäftsführer des Thüringer Skiverbands ist, sei einfach nur „skandalös“

Antje Misersky gewann 1994 bei den Winterspielen in Lillehammer mit der Staffel noch mal Silber und beendete 1995 nach WM-Staffelgold in Antholz ihre Laufbahn. Sie fand ihr privates Glück in Übersee. Seit 1995 lebt sie in den USA. Mit Ehemann Ian Harvey, einem früheren US-Biathleten, hat zwei Kinder und wohnt in Heber City/Utah mit Blick auf die Rocky Mountains.

2012 wurde sie mit ihrem Vater für die gezeigte Zivilcourage von der Deutschen Sporthilfe in die Hall of Fame aufgenommen: „Wir fühlen uns als Stellvertreter für die, die all die Jahre in Ost und West für einen sauberen und fairen Sport eingetreten sind“, erklärte sie damals. Es lohne sich, für etwas zu kämpfen. „Allerdings nicht um jeden Preis, schon gar nicht mit Betrug und Manipulation.“

Die besonders „im Spitzensport vorherrschende Ellbogenmentalität“ kann sie heute als Mutter zweier Mädchen, Hausfrau und Christin, „gar nicht mehr nachvollziehen“. Zudem unterstützt sie ihren Mann, der für eine Skiwachsfirma arbeitet. „Das ist jetzt ein ganz anderes Leben, voller Erfüllung und Zufriedenheit.“ Da Biathlon in den USA bislang eine Randsportart ist, das kaum im Fernsehen gezeigt wird, verfolgt sie die Wettkämpfe heute meist am Computer. Über die jüngsten Überraschungserfolge der US-Biathleten bei der WM in Hochfilzen hat sie sich natürlich gefreut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen