Themen in deutschen Talkshows: Blick nach rechts
In den Talkshows von ARD und ZDF geht es vor allem um Terror, Flucht und Islam. Also um die Lieblingsthemen der Rechten.
Der Befund ist verheerend: Rechtspopulisten bestimmen in hohem Maße die Themen von TV-Talkshows. Das ARD-Magazin „Monitor“ hat alle 141 Sendungen im ersten und zweiten Programm des vergangenen Jahres ausgewertet – von „Anne Will“ bis „Maybrit Illner“.
Das erstaunliche Ergebnis: 40-mal ging es um Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik, 15-mal um den Islam, Gewalt und Terrorismus, 21-mal um Populismus, vor allem von rechts. „Andere Themen hatten keine Chance“, bilanzierten die PolitjournalistInnen in der Sendung vom 19. Januar 2017. So waren die Zukunft der Kohle oder der Atomausstieg ein Jahr lang kein Thema, noch nicht mal der „viel diskutierte“ Abgasskandal, staunte „Monitor“.
„Sie sind laut, sie sind fremdenfeindlich, sie hassen das System“, heißt es in dem Beitrag über die in der AfD organisierten Angstschürer der Republik. „Es ist zwar nur eine Minderheit, aber sie schaffen es immer wieder, mit ihren Themen die politische Agenda zu bestimmen. In allen Medien. Vor einem Millionenpublikum. Auch in den politischen Talkshows.“
Der achtminütige Beitrag „Talkshows: Bühne frei für Populisten“ ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens sendet „Monitor“ – wie die Talkshows – vor Millionenpublikum. Zweitens wird das Politmagazin vom WDR produziert und damit von dem Sender, der mit „Hart aber fair“ und „Maischberger“ aktuell die meisten Talks im Ersten platziert. Damit kommt die Kritik – zumindest im weiteren Sinne – inzwischen offen auch aus dem eigenen Haus.
„Klar“, heißt es im Sprechertext, „die Flüchtlingspolitik war das Megathema des letzten Jahres. Aber stimmt das Verhältnis noch?“ Auf das Thema aufmerksam gemacht hatten Journalisten des Medienmagazins „Zapp“, für das auch der Autor dieser Zeilen arbeitet. Sie stellten unter anderem fest, dass die AfD rund um die drei Landtagswahlen im vergangenen Frühjahr innerhalb von zehn Tagen gleich 6-mal ihre Thesen vortragen durften.
Der „Erregungspegel“ von Talkshows
Ende Januar griff das „Politische Feuilleton“ von Deutschlandradio das Thema ebenfalls auf. „Zu besten Sendezeiten wird nicht über Politik gesprochen, sondern das Sprechen über Politik simuliert“, bilanzierte dort der Schriftsteller Bodo Morshäuser, der sich seit Langem etwa mit dem Aufkommen von Rechtsextremismus beschäftigt. Er schimpfte über den „Erregungspegel“ von Talkshows und fragte: „Ist es Absicht oder Ungeschick, dass diese Art von sogenannter Diskussion eine der besten Wahlkampfhilfen für unsere neue, auf Erregungspegel spezialisierte Rechtspartei ist?“
Angesichts von Sendungstiteln wie „Bürger verunsichert – wie umgehen mit kriminellen Zuwanderern“ und „Terror mit Ansage – was tun mit den Gefährdern?“ legte Morshäuser nach: „Unablässig wird von Angst geredet, und sie verbreitet sich, je mehr von ihr geredet wird. Ob Maybrit Illner, Anne Will oder Frank Plasberg – alle haben an dieser Eskalation geschraubt.“
Die Talkshow-Kritik selbst ist freilich nicht frei von Polemik und auch nicht immer fair, dennoch: Oft trifft sie das Bauchgefühl kritischer Zuschauer. Ein Blick in soziale Netzwerke während den Ausstrahlungen legt bisweilen ein desolates Bild frei.
Die Programmverantwortlichen lassen sich davon aber nicht beirren. ARD-Chefredakteur Rainald Becker nahm seine KollegInnen konsequent in Schutz. Er verwies darauf, dass Flüchtlinge und Integration zuletzt viel diskutiert worden und damit rechtspopulistische Parteien erstarkt seien: „Wir haben die Aufgabe, diese gesellschaftliche Stimmung, diese Haltung aufzugreifen, zu hinterfragen in Talksendungen.“
Weder Fehlgriffe noch Lücken
Relevanz leitet sich also tatsächlich am Erregungspegel ab. Neben Becker kam in der Berichterstattung Juliane von Schwerin zu Wort. Sie verantwortet beim NDR „Anne Will“ und bestätigt zwar nicht für ihre eigene Sendung, aber allgemein für Talks im Ersten, die sich gegenseitig auf dem Laufenden halten: „Wenn ich in das Talkportal gucke und die ganzen Titel aller Talksendungen sehe, bin ich auch manchmal überrascht.“ Von Schwerin sagt von sich auch, Themen möglichst nüchtern halten zu wollen, aber „natürlich“ müsse man „eine gewisse Spannung kreieren, damit Menschen auch Lust haben, diese Sendungen zu sehen.“
Bemerkenswert ist, dass die mediale Debatte über die Themenauswahl in Talkshows ohne Vertreter des WDR auskommt. Dabei sind die Senderverantwortlichen durchaus gesprächsbereit. Der stellvertretende Chefredakteur Udo Grätz greift bei seiner Verteidigung auf den „schönen Begriff der Aufklärung“ zurück, wie er sagt: Die Sendungen sollten sich mit Fakten und Behauptungen auseinandersetzen und „gut vorbereitete Moderatoren und Faktenchecks“, die „Hart aber fair“ nach einer Sendung ins Netz schreibt, „Populismus als solchen von seriösen Fakten trennen“.
Sandra Maischberger und Frank Plasberg hätten „einen sehr guten Beitrag geleistet, indem sie die Positionen und die Vertreter der AfD auf journalistisch hohem Niveau seziert haben“, meint Grätz. Auch bei der Themenwahl sieht er weder Fehlgriffe noch Lücken. „Relevante Themen wurden nicht bewusst ausgeblendet“, sagt der stellvertretende Chefredakteur. Wichtig sei vor allem, welches Thema in der jeweiligen Sendewoche „oben“ sei und „ob es Themen sind, die in ein Gesprächsformat passen“. Die Abgasaffäre habe etwa alternativ „in vielen anderen Formaten“ ihren Platz gefunden.
Düstere Prognosen
Während Kritiker – auch aus dem eigenen Haus, siehe „Monitor“ – sich unterdessen an der inflationären Bespielung der Sendeflächen mit Themen wie Flucht, Populismus und Islamismus reiben, attestiert Grätz: „Wenn im Rückblick beispielsweise „Hart aber fair“ in 10 von 34 Sendungen diese Themen in den Fokus stellte, zeigt dies aus unserer Sicht eine richtige Einschätzung der Themen.“
Kritiker und Macher der Talksendungen kommen also vorerst nicht zusammen. Es bleibt so bei düsteren Prognosen wie dieser von Schriftsteller Morshäuser in eine Frage gekleideten: „Werden sich vielleicht am Morgen nach der Wahlnacht ahnungslose Demoskopen und aufgeschreckte Wähler fragen müssen, wie es so weit kommen konnte? Wenn, dann natürlich in einer Serie von Brennpunkten und Talkshows.“
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