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Irgendeiner hört immer mit

Überwachung II Neue Perspektiven auf Google Street View, künstlerisch aufgearbeitete Fundstücke aus dem Netz und alte Stiche: Das Museum für Fotografie und C/O Berlin präsentieren drei aufeinander abgestimmte Ausstellungen zum Thema Überwachung

von Tilman Baumgärtel

Da hängen sie wieder an der Wand, die verschwommenen Gestalten mit den verpixelten Gesichtern. Diese Unglücklichen gingen einst just ausgerechnet zu dem Zeitpunkt die Straße entlang, als das Google-Street-View-Gefährt vorbeikam, um gerade mal die Welt – und damit auch die ahnungslosen Passanten – ungefragt abzufotografieren. Wie Insekten im Bernstein stecken sie seither fest in der virtuellen Dublette der Welt, die der Konzern, der sich neuerdings Alphabet nennt, auf seinen Servern gespeichert hat.

Seit 2012 erlöst der italienische Künstler Paolo Cirio gelegentlich einige der Street-View-Opfer aus ihrem entkörperlichten Dasein im digitalen Nirwana. Er druckte ihre Bilder in Lebensgröße aus und klebte sie genau dort an die Wand, wo sie einst von der Kamera mit den neun Linsen aufgenommen worden waren, die die Bilder für die Google-Straßenkarten machte. Halb Rache an Google, halb Street-Art, die zur Abwechslung mal Sinn hat, wurde die Arbeit „Street Ghosts“ ein viraler Erfolg, bei dem sich Cirios Guerillaplakatierung, die mediale Berichterstattung in der Presse und den sozialen Medien und die Rezeption der Arbeit in der Kunstwelt immer wieder gegenseitig vorantrieben. „Da die Bilder ohne Genehmigung der Menschen verbreitet werden, nehme ich die Fotos auch ohne Googles Erlaubnis“, sagt Cirio über seine Arbeit.

Nun sind die „Street Ghosts“ im Museum für Fotografie angekommen, wo sie Farbe an die grauen Steinwände des Gründerzeitkastens bringen. Statt hastig hingepappter Plakate aus dem Tintenstrahldrucker sieht man die Google-Geister nun ordentlich an die Fassade gemalt. Aus Anlass der Ausstellung „­Watching You, Watching Me“ haben sie auch ihre angestammten Plätze verlassen, die ihnen Google vor knapp einem Jahrzehnt zugewiesen hatte. Statt dort, wo sie fotografiert wurden, haben sie sich nun in Charlottenburg hinter dem Bahnhof Zoo eingefunden.

Material aus dem Netz

Die Deplatzierung macht den interventionistischen Eingriff in den öffentlichen Raum zwar nicht gerade zum Museumsstück. Aber sie passt doch zu gut zu den drei Ausstellungen zur Überwachung, die in einer ersten Kollaboration des Berliner Museums für Fotografie und der private Fotogalerie C/O Berlin gleichzeitig eröffnet werden. „Watching You, Watching Me“ im Museum für Fotografie versammelt vor allem fotografische Arbeiten, viele von ihnen arbeiten mit gefundenem Material aus Archiven oder dem Internet. „Watched! Überwachung & Fotografie“ bei C/O Berlin legt den Schwerpunkt auf Medienkunst, Videoarbeiten und Installationen. Und die kleine, aber gewichtige Kabinettausstellung „Das Feld hat Augen“ wieder im Museum für Fotografie macht einen geschichtlichen Horizont auf, der die zeitgenössischen Arbeiten in einen historischen Kontext stellt.

Die Überwachung im Zeitalter der digitalen Onlinetechnologien ist in der Kunst und in Gruppenausstellungen zuletzt doch schon häufiger behandelt wurde. Die „Street Ghosts“ zum Beispiel sind inzwischen bei über 30 Gelegenheiten gezeigt worden. Die Liste dieser Präsentationen gibt einen Eindruck davon, an welchen Kunstinstitu­tio­nen man sich aus wie vielen Perspektiven dem Thema der Observierung der Bevölkerung schon genähert hat: „AnonymiX: the End of the Privacy Era“ in Haifa, „After Transparency“ in Toulouse, bei dem Medienkunstfestival Ars Electronica im österreichischen Linz, „Drones/Birds“ in Brüssel, „The Big Picture“ in Denver, „Public Private“ in der New School in New York, und die Liste geht weiter und weiter. „Watching You, ­Watching Me“, die von George Soros’ Open Society Institute veranstaltete Ausstellung, die Cirios Arbeit jetzt noch einmal nach Berlin bringt, war ihrerseits schon in New York und Budapest zu sehen.

Damit soll hier auf keinen Fall gesagt sein, dass die anlasslose Massenüberwachung, die durch das Internet möglich geworden ist, als Thema für künstlerische Arbeit passé ist. Ganz im Gegenteil: Wie es der Zufall so will, findet die Pressekonferenz für die Ausstellungen just zur selben Zeit statt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags über Selektorenlisten und BND-Eigenmächtigkeiten aussagen muss.

Zu sehen ist, dass sich die Menschheit schon immer beobachtet fühlte: von Gott, vom eigenen Gewissen, von der Regierung

Angesichts von Terroranschlägen wie denen von Paris, Nizza oder dem Breitscheidplatz nur unweit von der Ausstellung hat die Kritik an Überwachung an Überzeugungskraft verloren. Irgendwie scheint die Menschheit achselzuckend akzeptiert zu haben, dass ihre privateste Kommunikation von der NSA bis zu Google und Face­book beliebig eingesehen, gespeichert und ausgewertet werden kann. Ist halt so, und irgendwie kann man sich diese ganze Bespitzelung in ihrem letztlich unfassbaren, globalen Ausmaß sowieso nicht vorstellen.

Darum sind die Arbeiten, die in Berlin zu sehen sind, so wichtig: weil sie die unsichtbare, immaterielle Überwachung sichtbar und nachvollziehbar machen. Tomas Van Houtryves Fotoserie „Blue Sky Days“ ist so ein Versuch, den abstrakten, unhinterfragten Überwachungsapparat irgendwo in der Ferne konkret und sinnlich erfahrbar zu machen. Der holländische Fotograf hat mit einer Drohne Szenen in Amerika eingefangen, die in Ländern wie Pakistan oder dem Irak zur Bombardierung von Zivilisten führen könnten: Hochzeiten, Begräbnisse, ein Basketballspiel aus der Vogelperspektive. Die Drohne, die das in kontrastreichem Schwarz-Weiß fotografiert hat, könnte auch eine Bombe auf das ­friedliche Alltagsleben fallen lassen.

Die Banalität der konkreten Hightechüberwachung demonstrieren die Fotos von Julian Roeder, die polnische Frontex-Einheiten mit Thermokameras oder französische Polizisten mit Radargeräten zeigen, mit denen Flüchtlinge aufgespürt werden sollen. Aus einer ganz anderen, technisch niederschwelligeren Zeit stammt dagegen das Equipment, das Edu Bayer 2011 in der verlassenen Zentrale des libyschen Geheimdienstes fotografiert hat: Gaddafis Schergen benutzen noch Telefone mit Wählscheiben bei der Ausforschung ihrer Untertanen.

Noch mehr Transparenz

Nicht so gerne haben es repressive Machthaber, wenn die Subjekte ihrer Überwachung mit noch mehr Transparenz begegnen: Als Ai Weiwei von der chinesischen Polizei Überwachungskameras in sein Atelier gehängt bekam, begann er sich selbst mit einer Webcam zu überwachen und streamte die Bilder ins Internet – was polizeilich bald unterbunden wurde.

Was die Berliner Ausstellungen von anderen Präsentationen zum Thema unterscheidet, ist die kleine, aber feine Auswahl von historischem Material, die unter dem Titel „Das Feld hat Augen“ zu sehen ist. Kurator ­Michalis Valaouris zeigt mit historischen Stichen und technischen Geräten auf, dass die Menschheit sich schon immer beobachtet fühlte: von Gott, vom eigenen Gewissen, und auch schon von der Regierung.

Der Stich, der der Ausstellung ihren Titel gibt, illustriert ein altniederländisches Sprichwort: Ein Wanderer wird von in einem Feld ausgesäten Augen und Ohren verfolgt. Das Auge Gottes überblickt in vielen religiösen Bildern die gesamte Welt und die armen Sünder, die in ihr leben. „Auch in dunkler Nacht Gottes Auge wacht“ ist in einen Bettwandschoner eingestickt.

Aber nicht nur Gott, auch der weltliche Herrscher kann alles sehen: In den Gärten von Versailles oder Schönbrunn wurden die Sichtachsen der Alleen auf einen Fluchtpunkt hin angelegt, der den Augenpunkt des Königs versinnbildlicht.

Aber auch nach der Revolution, die der Monarchie ein Ende bereitete, wurde Macht durch beobachtendes Sehen ausgeübt: In der französischen Salinenstadt Chaux, geplant von dem Revolutionsarchitekten Claude-Nicolas Ledoux, befindet sich das Haus des Direktors des Salzbergwerks so in der Mitte, dass er den ganzen Ort im Blick hatte und „alle Fehler wahrnehmen“ konnte, wie Michel Foucault es später beschrieb. Wie auch beim Panopticongefängnis, das sich der britischen Philosoph Jeremy Bentham ausgedacht hat, zeigt sich hier die repressive Seite der Aufklärung.

Befremdlich dagegen der Beitrag von Simon Menner, der bekannte Bilder aus dem Archiv der Staatssicherheit der DDR vollkommen unbearbeitet an die Wände gehängt hat. Eine künstlerische Eigenleistung sucht man hier vergebens. Immerhin erinnert die Arbeit daran, dass die gruseligste Ausstellung über Überwachung in Berlin immer noch in der ehemaligen Stasizentrale in der Normannenstraße zu finden ist.

„Watched! Überwachung & Fotografie“. Bis 23. April bei C/O Berlin

„Watching You, Watching Me: A Photographic Response to Surveillance“ und „Das Feld hat Augen. Bilder des überwachenden Blicks“. Bis 2. Juli im Museum für Fotografie

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