: Gandhis revolutionärer Vorschlag
Indien In „Viceroy’s House“ kommt Gurinder Chadha nie wirklich dazu, von dem zu erzählen, was ihr tatsächlich wichtig ist (Wettbewerb)
Eine der packendsten Szenen kommt spät im Film, wie es sich gehört. Nach monatelangen Zerreißproben und Verhandlungen betritt endlich Gandhi die Szene und macht einen revolutionären Vorschlag: Um die verständliche Angst der muslimischen Minderheit zu entkräften, in einem unabhängigen Indien unterdrückt zu werden, soll ihr Führer Jinnah die erste Regierung stellen. Der Vorschlag klingt heute noch verrückter, als er damals geklungen haben mag. Wäre das nicht ungefähr so, als würde man morgen den Griechen die Verantwortung für den Euro übertragen?
Leider stimmt es nicht, dass dies die packendste Szene ist in Gurinder Chadhas Film über die Teilung Indiens, „Viceroy’s House“. In ihr kommt lediglich einmal ein Gedanke vor, der nicht von vornherein durch guten Willen und beste Absichten sterilisiert scheint. Eigentlich will ja Gurinder Chadha eine brisante Variante eines bekannten Stoffs erzählen. Die allgemein akzeptierte Darstellung der Geschichte der indischen Unabhängigkeit im Jahr 1947 betrachtet die gleichzeitige Teilung des Landes in Indien und Pakistan als notwendig, weil Schlimmeres verhindert werden musste. Waren doch Hindus und Muslime schon seit Monaten in wechselseitigen Massakern aufeinander losgegangen. Chadha aber lässt in ihrem Film eine Geheimakte öffnen, die offenbart, dass die Teilung Indiens lange vor den Unruhen quasi beschlossene Sache war. Winston Churchill hatte den Plan schon 1945 gefasst, weil er sich von einem neu gegründeten Pakistan ein dankbares Bollwerk gegen ein vermeintlich sozialistisch werdendes Indien versprach.
Ihr brisantes Thema aber fasst Chadha in ein Filmgenre, das heute nicht zu Unrecht als veraltet gilt: episches Kino. Da schwebt die Kamera über den Großpalast hinweg, über aufwendig im Stil der Zeit eingekleidete Menschenmengen und Wetterlagen. Gefühlt in jeder zweiten Szene sind mindestens hundert Statisten im Bild. In der anderen Hälfte der Szenen werden bedeutende Blicke gewechselt oder überlieferte Worte verlautbart. Es treten alle wichtigen historischen Figuren auf, Nehru, Gandhi, Jinnah, alle auf Ähnlichkeit zur ihren historischen Vorbildern getrimmt. Lord Mountbatten wird von „Downton Abbey“-Star Hugh Bonneville verkörpert, seine Frau von Gillian Anderson. Die Besetzung ist programmatisch im offensichtlichen Sinn: Bonnevilles Mountbatten ist wie sein „Downton Abbey“-Vorbild einer, der immer das Beste will, um dann mit englischer Gefasstheit das Schlechte in Kauf zu nehmen. Andersons Lady Edwina ist nicht nur politisch besser im Bild als ihr Mann, sie hat sogar reformerische Ideen für das Land. Leider kommt sie damit nicht weiter als bis in die Küche, wo jetzt auch indisch gekocht wird. „Wozu hab ich dann jahrelang die verdammten englischen Speisen gelernt?“, flucht der Sous-Chef auf Hindu in seinen Bart. Es bleibt die einzige Stelle, wo der Sinn der Gutwilligkeit der Mountbattens infrage gestellt wird.
Tatsächlich kommt Gurinder Chadha nie wirklich dazu, von dem zu erzählen, was ihr wichtig ist. Der eigene Film kommt ihr dazwischen mit seinem epischen Atem, der trotz aufwendiger Kamerafahrten den echten Ereignissen immer hinterherhinkt. Mehr als einmal müssen die per Zeitungsschlagzeile eingeblendet werden, die natürlich von irgendeinem Lakaien erst gebracht werden muss. Die große emotionale Kurve des Films soll die Liebesgeschichte zwischen zwei Angestellten am Hof des „Viceroy“ Mountbatten liefern, wobei er ein Hindu und sie eine Muslimin ist. Dass die beiden zwar lange von der Unmöglichkeit ihrer Verbindung ausgehen, aber die Sache nie beim Namen nennen, erschwert das Mitfühlen erheblich. Chadha zerfällt das Sujet irgendwo zwischen David-Lean-Hommage und Pilotfilm für die TV-Serie „Viceroy’s House“.
Barbara Schweizerhof
13. 2., 12.30 und 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 16. 2., 12.15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 19. 2., 12.15 Uhr, Berlinale Palast
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