Europaküche Fasten macht erfinderisch. Österreichische Mönche stillten früher ihren Fleischhunger mit Schnecken aus dem Elsass. Dazu passt ein Kraut aus den Donauauen: Köstliche Kriechmuskeln
Von Philipp Maußhardt (Text) und Juliane Pieper (Illustration)
Passend zur Jahreszeit habe ich das Grußfasten eingeführt. Ich grüße niemanden oder nur mehr unmerklich, 40 Tage lang, bis Ostern. Treffe ich im Hausflur einen netten Nachbarn, schaue ich zur Seite und gehe grußlos an ihm vorbei. Ebenso mache ich es mit Kollegen.
Ich nutze die durch das Nichtgrüßen gewonnene Zeit um darüber nachzudenken, welchen Sinn das Grüßen überhaupt macht. Grüßen wir nicht viel zu viel im Leben? Hier ein „Hallo“, dort ein „Guten Tag“, beim Verlassen und Betreten der Wohnung, des Arbeitsplatzes, eines Kleidergeschäfts – überall diese gedankenlos oft nur so dahin geplapperten Grußformeln. Man sollte bewusster damit umgehen; vielleicht in Zukunft nur noch diejenigen grüßen, die man auch wirklich meint.
Grußfasten habe ich eingeführt, weil es alles andere schon gibt: das Fastenwandern und das Heilfasten, das Fasten nach Buchinger und das Basenfasten. Ich bin ein großer Fastenfreund. Man kann auf so vieles verzichten. Zum Beispiel auf Donald Trump. Trumpfasten bedeutet, man liest keine Twitternachrichten mehr oder man lernt zur Strafe, für jede Twitternachricht, die man trotzdem liest, ein Rilke-Gedicht auswendig.
Zutaten (für 6 Personen)
60 Weinbergschnecken
1 Bund Kerbel
150 g Semmelbrösel
2 kleine Zwiebeln
10 Eier (zwei davon hart gekocht)
200 g Schlagsahne
125 g Butter
Salz, Pfeffer, Muskat
Zubereitung: Wer die Schnecken nicht küchenfertig kauft, muss erst einmal sammeln gehen. Die Tiere drei Tage in einem verschlossenen Karton zusammen mit Zeitungspapier ruhen lassen, damit sie ihren Darm entleeren. Anschließend in kochendes Wasser werfen und ca. 20 Minuten bei starker Hitze kochen. Nun mit einem spitzen Gegenstand die Innereien aus dem Schneckenhaus lösen und den Kriechmuskel abtrennen (ist leicht an Lage und Konsistenz zu erkennen). Die Kriechmuskeln in etwas Brühe weitere 20 Minuten köcheln und abseien.
Die Semmelbrösel in 100 Gramm Butter etwas braun werden lassen und vom Herd nehmen. Die klein gehackten Zwiebeln in der restlichen Butter leicht andünsten und zusammen mit den Kriechmuskeln und den hartgekochten Eiern und dem Kerbel, beides fein gehackt, zu den Bröseln geben.
Die Masse abkühlen lassen, dann die frischen Eier und den Rahm zufügen. Alles gut vermischen und mit Salz, Pfeffer und Muskat würzen. Eine feuerfeste Schüssel mit Butter ausstreichen, alles einfüllen und bei 180 Grad ca. 30 bis 35 Minuten im vorgeheizten Backofen backen. Fünf Minuten vorher bei Bedarf mit etwas Käse überstreuen.
Fast scheint es mir so, dass die Menschen eigentlich gerne leiden, nur ist das nicht so einfach, weil das Leben zu gut zu ihnen ist. Darum haben sie das Fasten erfunden. Aber richtig wehtun soll es auch nicht. „Die besten Fastenhotels für Genießer“ las ich kürzlich auf der Seite eines Hotelführers. Die haben es verstanden.
Hier soll es um ein Rezept gehen, um ein europäisches Fastenrezept. Ich habe eines gefunden, das den Sinn des Fastens wunderbar erklärt. Man muss auf etwas verzichten, was man eigentlich mag und sucht sich als Ersatz dafür etwas anderes, was sich am Ende als noch viel besser herausstellt als das, auf was man verzichtet hat. Dieses Rezept könnte auch als Erklärung der katholischen Kirche insgesamt dienen oder um es bildlich auszudrücken: Im Vordergrund sieht man die dicke Wampe eines Mönchs, im Hintergrund das Leiden Christi.
Dieses Rezept hat mit Mönchen zu tun, vor allem aus den Orden der Benediktiner und der Augustiner. Sie saßen im ausgehenden 17. Jahrhundert in ihren großen Barockklöstern entlang der Donau zwischen Passau und Wien und freuten sich auf die Fastentage. Denn immer kurz bevor es ihnen verboten wurde, so ein leckeres Kalbfleischgericht zu verdrücken, kamen alte Holzkähne den trägen Fluss herunter geschippert, die man ihrer Herkunft und ihres Aussehens wegen „Ulmer Schachteln“ nannte. Im Bauch der Schachteln befanden sich Säcke und Kisten vollgestopft mit Weinbergschnecken (Helix pomatia), die aus dem Elsass und von der Schwäbischen Alb stammten, wo sie zu Tausenden gesammelt oder gezüchtet wurden. Der Kriechmuskel dieser niedlichen Tiere schmeckt, sofern richtig zubereitet, wie Kalbfleisch, nur noch etwas besser.
Schneckenmuskeln gelten in der katholischen Kirche nicht als Fleisch. Ebenso wenig wie ein im Klosterteich ertränktes Ferkel, das findige Mönche post mortem zum „Fisch“ umetikettierten. Die Basis eines guten klösterlichen Abendessens im Stift Sankt Florian war also gesichert, nur: Was passte als Sättigungsbeilage zu den Schnecken, außer der mit der Zeit etwas langweiligen und nicht magenfüllenden Kräuterbutter?
Die Monate Februar und März waren küchentechnisch immer schwierig. Da waren die Vorräte des Winters oft aufgebraucht und in den Gärten wuchs noch nichts Neues. Aber in den Donauauen zeigte sich schon mit den ersten Anzeichen Frühlings eine Pflanze, die sich als optimaler Begleiter für ein Schneckengericht herausstellte: Kerbel gehört zu den am frühesten im Jahr sprießenden Kräutern unserer Breiten und gibt vielen, von Natur aus eher faden Speisen, erst einen Pfiff.
Man findet Kerbel übrigens auf Wiesen und an Waldesrändern. Versuchen Sie es doch mal beim Fastenwandern.
Die Genussseite: Philipp Maußhardt vereinigt auf dieser Seite jeden Monat die Küchen Europas. Außerdem im Wechsel: taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge oder treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen, und Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens.
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