Die eine Frage
: Der Polo mit Gerechtigkeitsturbo

Kann SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz die Welt retten?

Peter Unfried ist taz-Chefreporter

Soll man einen Golf Diesel oder einen Polo Diesel nehmen? Da grübeln manche monatelang. In etwa der gleiche Unterschied besteht zwischen Merkel und Schulz. Beziehungsweise, um genauer zu sein, zwischen den dahinter stehenden Parteien Golf (Union) und Polo (SPD). Mit beiden kann man ordentlich CO2 ausstoßend durch die Gegenwart brummen, aber beide haben – meine Unterstellung – keine Zukunft, nicht nur sozialökologisch gesehen, sondern auch was die Gestaltung einer Transformation der Industriegesellschaft angeht.

Jedenfalls wollen nicht nur strategische Illusionisten, sondern selbst altgediente politische Beobachter ernsthaft behaupten, dieser Polo „Schulz Authentic Edition“ sei womöglich ganz anders und das krasse Gegenmodell zum Golf „Merkel Solid Gold“. Weil: Unter der SPD-Haube verberge sich eventuell ein neuartiger GTI-Motor (Gerechtigkeitsturbo-Infusion).

Wo soll der denn entwickelt worden sein? In den Gremien der SPD sicher nicht. In den bis zum letzten Gramm CO2verteidigten Kohlezechen Nordrhein-Westf­alens definitiv auch nicht. Im SPD-Wirtschaftsministerium, das die Solarbranche und die Existenz der dort ehrlich und hart arbeitenden Leute vernichtet hat? Wenn überhaupt, dann in Brüssel und radikal-europäisch. Das wird die EU-skeptischen Linkspopulisten aber freuen.

Die Gegenwart ist eine Mitarbeiterversammlung auf der „Titanic“, nach der Kollision mit dem Eisberg, bei der eine All-Gender-Toilette beschlossen und ein Mindestlohn in Aussicht gestellt wird, der ab 1913 in Kraft tritt. Die Probleme sind so komplex, dass nicht nur fanatische Fremdenhasser diese wirklichen Probleme ignorieren und ihr Denken auf eine Scheinlösung reduzieren. In der autoritätsfixierten Kleinbürgerpartei SPD reden sie sich seit Jahrzehnten ein, das Problem sei der jeweilige Vorsitzende. Weshalb sie ihn ständig unter größtem Ächzen austauschen.

Das lenkt so schön ab. Sich und die Wähler. Jetzt soll die Lösung auch noch darin bestehen, dass der Vizekanzlerkandidat Schulz kein Abitur hat, keine Brio­ni-Anzüge trägt und aus einer Kleinstadt kommt. Wie verzweifelt ist das denn? Mal abgesehen davon, dass man die grassierenden antiintellektuellen Ressentiments auf keinen Fall stumpf befriedigen darf, indem man Bildung als Zeichen von Abgehobenheit beschreibt: Das ist alles einfach komplett schnurz für die Lösung eines politischen Problems. Es steht für die fatal-illusionistische Hoffnung, wir seien noch im Zeitalter der Symbolpolitik.

Will sagen: Es ist schön für die SPD, wenn sie sich mit Schulz kurzfristig gut fühlt. Und ja, Wahlen werden durch Habitus und Gefühle entschieden. Aber die Frage für uns Medien und Intellektuelle ist, ob man Illu­sio­nis­mus affirmativ befördert. Sich nicht zu blöd ist, Merkel als „müde“ aussehend zu beschreiben. Oder Schulz gar als omnipotente superlinke Führerfigur anbetet, der die menschlichen Gefühle hat, die Merkel fehlen.

Dieses Land braucht keine habituell-symbolische Alternative zu Merkel, sondern eine politische und kulturelle Alternative, wie sie Emmanuel Macron in Frankreich skizziert. Jenseits von alt-halbrechts und alt-halblinks und des albernen Getues, das seien monumentale Unterschiede. Jenseits der reflexhaften Beschwörung des Begriffs „soziale Gerechtigkeit“, ohne ihn auch nur annähernd in einer postindustriellen Welt der Globalisierung, Digitalisierung, Produktions- und Ressourcenwende politisch beschreiben zu können.

Aber wo muss man sich verorten, wenn man nicht links oder rechts ist? Früher sagte man bei den Grünen mal: vorn.

Quod erat demonstrandum, Cem Özdemir.