: Ein bisschen wie in Damaskus
Perspektivenwechsel Die Führung „Geflüchtete zeigen ihr Berlin“ lässt die Stadt mit den Augen syrischer Geflüchteter sehen
von Henning Beermann
Die Sparkasse in Neukölln ist für eine Stadtführung ein ziemlich ungewöhnlicher Halt. Samer Serawan (37) wirkt schüchtern, Hilfe suchend schaut er zu seiner Frau Arij Serawan (29). „Hello and welcome“, begrüßt sie die zwölf Teilnehmer der Querstadtein-Führung mit syrischen Geflüchteten – „Geflüchtete zeigen ihr Berlin“. An diesem Tag haben sich Studierende angemeldet, um das Neukölln der Serawans kennenzulernen. Den Stadtteil, der ihnen seit rund einem Jahr ein neues Zuhause ist.
Eine der ersten Herausforderungen nach ihrer Ankunft in Berlin sei es gewesen, ein Konto zu eröffnen, erzählt Samer Serawan, der früher als Verwaltungsangestellter für die Stadt Damaskus gearbeitet hat. In vielen Banken seien Geflüchtete nicht willkommen. In Neukölln aber werde besonders auf ihre Bedürfnisse eingegangen, so wurde er etwa auf Arabisch beraten – so einfach kann es sein.
In Syrien aber war es alles andere als einfach. Nach fast fünf Jahren Bürgerkrieg wurde die Bedrohung durch die ständigen Bombardements auf Damaskus zu groß, auch das Viertel der Serawans war von den Angriffen betroffen. Für ein Leben dort, so erzählen sie, habe es keine Zukunft gegeben.
Wie viele ihrer syrischen Landsleute flohen die Serawans. Mit einem überfüllten Schlauchboot kamen sie über die Ägäis, liefen 30 Tage querfeldein durch die Türkei, schafften es dann über die Balkanroute bis nach Berlin, wo sie schließlich Asyl beantragten.
Neuer Start bei null
In Berlin mussten sie wieder bei null anfangen. Arij Serawan, die in ihrer Heimat als Anwältin arbeitete, kann sich vorstellen, hier wieder eine Universität zu besuchen. Ihrem Mann ist es vor allem wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen und nicht auf Leistungen vom Staat angewiesen zu sein.
Das Bild des hilfebedürftigen armen Flüchtlings lehnt Samer Serawan ab. Er sagt, dass die meisten Flüchtlinge einfach nur Schutz vor den Anschlägen, dem Militär, den Terroristen suchen. Das mache sie aber nicht zu armen, hilflosen Menschen. Auch die Herkunft und Religionszugehörigkeit eines Menschen spielen für ihn keine Rolle: „Am Ende sind wir Menschen“, sagt Samer Serawan. „Ich glaube, wir sind alle miteinander verbunden und sollten einander helfen, wenn nötig.“
Und noch etwas ist ihm wichtig: Damit das große Projekt, die Flüchtlinge in Berlin zu integrieren, gelänge, müssten sich auch die Deutschen anstrengen, indem sie den Geflüchteten Selbstbewusstsein geben und sie nicht immer in die Opferrolle drängen, sagt Samer Serawan mit leuchtenden Augen. Integration beruhe auf Gegenseitigkeit.
Gern würde er Teil dieser Gesellschaft werden. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, sieht er darin, den Berlinern jetzt seine Sicht auf die Stadt zu vermitteln. Doch wie ist das eigentlich, wenn man sich nicht wie gewohnt verständigen kann?
Sonnenallee: Arab Street
Zum Beispiel so: Langsam folgt die Gruppe den beiden Stadtführern über die schmalen Gehwege Neuköllns. Entgegenkommende Passanten schauen neugierig, vor allem Arabisch sprechende Menschen. Sie bleiben stehen, tuscheln, werfen einander verwunderte Blicke zu.
Von der Karl-Marx-Straße geht es in die Sonnenallee, die unter arabischen Geflüchteten nur als „Arab-Street“ bekannt ist, wie Samer Serawan erzählt. Hier kennen er und seine Frau sich aus. Die Teilnehmer erhalten Zettel mit arabischen Wörtern und sollen versuchen, diese auf den Schildern der Geschäfte und Lokale wiederzuerkennen. Das ist nicht einfach, wenn man der Sprache nicht mächtig ist. Die Teilnehmer vergleichen die Schriftzeichen auf dem Papier ganz genau mit den Schildern an den Lokalen, doch es gelingt keinem, etwas zuzuordnen. Zu fremd scheint die arabische Schrift.
Die Sonnenallee ist für Arij und Samer Serawan zu einem der wichtigsten Orte Berlins geworden: „Wir trinken hier Tee, rauchen Shisha und genießen das arabische Flair, das uns ein wenig an Damaskus erinnert“, sagt Samer Serawan. „So etwas haben wir hier in Berlin nicht erwartet. Es hilft, der Tristesse unserer Unterkunft für eine Weile zu entkommen.“
Die Sonnenallee als eine Art Brücke in die hinter sich gelassenen Heimat: Samer und Arij Serawan zeigen nun Fotos aus Syrien, belebte Märkten sind darauf zu sehen – Alltag eben.
Kleine Unterschiede zur Sonnenallee, ihrem Klein-Damaskus, gäbe es schon. Etwa, dass es auf Märkten von Damaskus immer einen Stand für nur ein Produkt gebe. Ein Händler verkaufe Gewürze, ein anderer Lammfleisch, ein dritter Rindfleisch. Hier, so Samer Serawan, würden die Händler gleich alles auf einmal anbieten. Das habe wiederum den Vorteil, dass man weniger herumlaufen müsse und früher im Teehaus einkehren könne.
Teehäuser spielen eine sehr wichtige Rolle bei Syrern, hier trifft man sich, egal ob verabredet oder nicht, sitzt beisammen, unterhält sich. Zum Tee wird Musik gehört. Allerdings nicht irgendeine. Samer Serawan erzählt, man würde in Syrien bestimmte Künstler am Morgen und andere am Abend hören. Seine neuen deutschen Freunde, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, kämen „da auch mal durcheinander“, erzählt er lachend.
„Geflüchtete zeigen ihr Berlin“ ist ein Angebot des gemeinnützigen Vereins Stadtsichten. Seit Sommer 2016 werden diese Querstadtein-Führungen aus der Sicht geflüchteter Menschen organisiert.
Bereits seit Juni 2013 gibt es bei Querstadtein Führungen von Obdachlosen, die ihr Berlin zeigen: Das erste Projekt des Vereins, mit dem es sich die Gründerinnen Katharina Kühn und Sally Ollech zum Ziel gemacht haben, die Kluft zwischen Obdachlosen und dem Rest der Gesellschaft in Berlin zu überwinden.
Die zwei Gründerinnen führen den Verein hauptamtlich und werden von derzeit etwa 15 Mit-streiterInnen unterstützt. Eine Führung kostet 6,50 Euro. Die Termine finden wöchentlich statt und können unter querstadtein.org gebucht werden.
Von der Sonnenallee geht es weiter zum Hermannplatz, den die beiden, wie viele andere Geflüchtete auch, bloß „Hermann“ nennen. So wie die Ausländerbehörde der Einfachheit halber „Ausländer“ heißt. Das sei sonst einfach zu lang, lautet Samer Serawans Erklärung. „Warum macht ihr Deutschen es uns so schwer mit der Sprache?“ Sammer Serawan schaut augenzwinkernd in die Gruppe. Das Publikum schmunzelt, ein Teilnehmer verweist im Spaß darauf, dass in Deutschland nun mal alles seine Ordnung haben muss, auch die Sprache.
Ort der Entscheidung
Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, hat einen eigenen Namen. Samer und Arij Serawan nennen es „The Court“ – „hier entscheidet sich schließlich, ob ein Asylbewerber in Deutschland bleiben darf oder nicht“, sagt Arij Serawan. „Vor dieser Behörde fürchten wir uns.“
Samer und Arij Serawan führen die Gruppe weiter und bleiben vor einem Handy-Geschäft mit arabischen Werbeplakaten im Fenster stehen. Im Sommer des vergangenen Jahres fragten sich viele Deutsche, warum die Geflüchteten, wo sie doch arm seien, Smartphones besitzen müssten, erzählt Arij Serawan.
Das Thema scheint ihnen ein Anliegen. Das Smartphone zähle aber zu einem der wichtigsten Fluchtutensilien, erklärt Arij Serawan und deutet auf das Handygeschäft. „Zuallererst muss gesagt werden, dass wir ein ganz normales Leben mit ganz normaler Arbeit geführt haben, bevor der Krieg ausgebrochen ist. Smartphones waren ohnehin schon in Syrien verbreitet“, klärt Samer Serawan seine Zuhörer auf. „Und außerdem hätten wir den langen Weg, der vor uns lag, ohne die Orientierung via Smartphone nie gefunden“, fügt seine Frau an. Nahezu alle Geflüchteten hätten Familienmitglieder und Freunde in Syrien zurückgelassen – oft sei das Telefon die einzige Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu bleiben.
Der Handyladen ist der letzte Stopp der Führung. Die anfängliche Aufregung ist einer freundlichen Gelassenheit gewichen, man ist sich näher gekommen. Arij und Samer Serawan sehen glücklich aus. Heute waren sie keine Flüchtlinge, heute waren sie Berliner.
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