EU-Migrationspolitik

Um die Migration aus Afrika zu stoppen, will die EU nun mit Libyen zusammenarbeiten. Doch in dem Land herrscht Chaos

In den Händen von Schmugglern

FLUCHT In Libyen organisieren Mafiabanden die Weiterleitung afrikanischer Migranten nach Europa. Die Küste haben sie längst unter Kontrolle, und für viele Libyer ist Menschenhandel zur Existenzgrundlage geworden

Auch im Internierungslager in Surman werden Migrantinnen festgehalten. Sie berichten oft von Schlägen und sexuellen Übergriffen Foto: Daniel Etter/laif

aus Zauwia Mirco Keilberth

Der Toyota schleudert den weichen Sand über die 10 Meter entfernt stehenden Helfer. Je kräftiger Mohamed Sifau aufs Gaspedal tritt, desto tiefer verschwinden die Reifen im Strand von Zauwia. Der Pick-up steckt fest. „Wir brauchen dringend Jeeps und eine bessere Aus­rüstung“, flucht der sonst so stille Projektleiter des Roten Halbmonds, der wohl letzten neutralen Hilfsorganisation in Libyen.

Seine Kollegen, allesamt Freiwillige aus der westlibyschen Küstenstadt Zauwia, tragen Schutzmasken und zerren an den in der Nacht angeschwemmten Leichen von Migranten, die aus dem Mittelmeer gefischt wurden – Opfer der tödlichen Flucht in Richtung Europa.

Die 40 Helfer sind in diesem Jahr trotz der unruhigen See im Dauereinsatz. „Die Bedingungen in den Internierungslagern verbessern zu können, ist motivierend“, sagt ein junger Mann mit roter Weste; „die Arbeit am Strand hingegen ist traumatisierend, die Toten haben oft tagelang im Wasser getrieben.“ Mit vier Kollegen hievt er einen Plastiksack von der Lade­fläche, um den Toyota wieder freizubekommen.

Der libysche Rote Halbmond erhält internationale Hilfe. Doch die Decken und Lebensmittel von der IOM (Internationale Organisation für Migration) können nichts an der dramatischen Lage der schätzungsweise 120.000 Westafrikaner ändern, die in Libyen auf eine riskante Überfahrt nach Italien warten.

Die Menschen, die hier tot aus dem Meer gefischt werden, sind von Schmugglern im weiter westlich gelegenen Sabratha auf die Reise geschickt wurden. Alle Strände in Libyen, von der tunesischen Grenze bis nach Sirte, werden von einem Netzwerk aus Milizen, Schmugglern und Islamisten beherrscht. Mit Transport von Benzin, Drogen und Menschen scheffeln ehemalige Revolutionäre, Mafia­bosse und kaum volljährige schwer bewaffnete Draufgänger Millionen. Ihre Reviere sind abgesteckt.

Alle Strände in ­Libyen werden von einem Netzwerk aus Milizen, Schmugglern und Islamisten beherrscht

Libyen ist Bürgerkriegsland. Aber was wegen der Präsenz islamistischer Milizen wie ein ideologischer Konflikt aussieht, ist tatsächlich ein Ringen um Einkommen. Der international unterstützte Regierungschef Fajes Serradsch kontrolliert gerade mal drei Stadtteile der Hauptstadt Tripolis.

Die Einnahmen aus dem Geschäft mit den Mi­gran­ten haben die staatlichen Lohnzahlungen ersetzt, die ausbleiben, seit 2014 der Ölexport zusammenbrach. Dass viele zu Tankschiffen umgerüstete Fischerboote nach Erreichen der EU-Hoheitsgewässer ihre libyschen Bootskennzeichen mit einem aus Malta überkleben, ist längst kein Geheimnis mehr. „Ohne das Geld aus Schmuggel und Migration stünden viele junge Libyer ohne Einkommen da“, sagt Oberst Rida Issa von der Marine.

Er glaubt nicht, den Schmugglern das Handwerk legen zu können. „Die Tankschiffe der Benzinschmuggler aus Zuwara sind schwer bewaffnet. Wenn wir Schlauchboote mit 100 Leuten an Bord an Land schleppen, greifen uns immer wieder Bewaffnete an, um die Außenbordmotoren zurückzuholen.“

Auf von Schleusernetzwerken angemieteten Villengeländen oder Farmen pferchen nigerianische oder malische Bosse der sogenannten Boga-Netzwerke jeweils bis zu 1.000 Migranten ein. Die Migranten, meist aus Westafrika, werden in Listen registriert. Sobald das Geld überwiesen wurde, werden sie einem Boot zugeteilt und losgeschickt. Die Verbindungsleute von Boga – wie der berüchtigte Abubakr aus Mali, der zwei Lager in Sa­bratha mit über 3.000 Migranten unter sich hat – arbeiten mit örtlichen Milizen zusammen, die sie schützen.

Marineoffiziere wie Rida Issa befürworten zwar die geplanten EU-Traningsmaßnahmen für seine Küstenwache. Doch an der Lage in den etwa 24 privaten und offiziellen Internierungslagern werde dies nichts ändern, glaubt er.

Die EU will mit einem 10-Punkte-Plan die Zuwanderung über das Mittelmeer stoppen. Der Plan sieht vor allem eine stärkere Zusammenarbeit mit Libyen vor, da es das wichtigste Transitland für Migranten ist, die von Afrika nach Europa wollen.

Der Plan umfasst etwa die Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache, damit sie Schlepperbanden stoppen kann. Flüchtlinge müssten dann in Internierungslagern in Libyen bleiben. Außerdem sollen weitere Aufnahmeeinrichtungen geschaffen werden, Alternativrouten überwacht werden, Projekte zur freiwilligen Rückkehr geschaffen werden und Grenzkontrollen in Libyen verschärft werden.

2016 kamen über 180.000 Menschen über diese Route nach Europa. Mehr als 5.000 ertranken. (dpa)

Beim Auftanken der beiden Patrouillenboote im Hafen von Misrata klingelt sein Mobiltelefon: Ein Bekannter, gerade aus Sabratha zurückgekehrt, gibt Meldung. „Macht euch auf was gefasst“, sagt er. „Die Boga-Leute haben Boote in Tunesien gekauft. Sie wollen diese Woche 5.000 Leute auf einmal aufs Meer schicken.“ In diesen Tagen soll auch der europäisch-afrikanische Mi­gra­tionsgipfel auf Malta stattfinden.

Auch Mohamed Sifau und seine Freiwilligen in Zauwia haben davon gehört. Das Lager in Zauwia ist das größte und völlig überbelegt. „Daher sind sich von der Gemeinde bis zur Marine insgeheim alle einig, dass man in dieser Nacht ein Auge zudrückt“, sagt Sifau.

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