: „Vor allem auch voneinander“
FORTBILDUNG Mitarbeiter von kleinen und mittleren Tourismus-Unternehmen können sich an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste zu Nachhaltigkeits- und Erneuerbare-Energien-Scouts ausbilden lassen
Interview André Zuschlag
taz: Herr Ziesemer, welche Ansprüche an den Umweltschutz haben Urlauber, die ein paar Tage an der Nordsee entspannen wollen?
Kai Ziesemer: Es gibt mittlerweile verlässliches Datenmaterial, das darauf hindeutet, dass auch bei ganz normalen Urlaubsreisen ökologische und nachhaltige Aspekte von zunehmender Bedeutung sind. Auch und besonders hier an der Nordsee ist das so. Laut der Gästebefragung hat sich zum Beispiel die Bedeutung des Weltnaturerbes Wattenmeer als Reiseentscheidungsgrund innerhalb der letzten sechs Jahre verdreifacht. Das bringt eine Verpflichtung gegenüber dem Gast mit sich. Wenn man weiterhin glaubwürdig von dem Status des Wattenmeers als Weltnaturerbe profitieren will, darf das kein reiner Werbegag sein, um mehr Leute zum Urlaub hierher zu bewegen. Hier setzten wir aus inhaltlicher Perspektive mit dem Fortbildungsprojekt an.
Was ist der Sinn dieser Fortbildung? Die Gäste kommen ja anscheinend dennoch.
Natürlich ist es so, dass die Nordseeurlauber in erster Linie aus Erholungsmotiven an das Meer fahren. Sie wollen baden, Natur erleben, Rad fahren. Allerdings darf die Befriedigung dieser Urlaubswünsche nicht austauschbar sein. Vielen Akteuren an der Nordsee in Schleswig-Holstein ist im Wettbewerb der Reiseziele wichtig, die Botschaft zu senden: „Wir bieten euch einen tollen Urlaub. Und: Wir können das nachhaltiger als andere.“ Damit diese Botschaften vor, während und nach dem Urlaub an die Gäste weitergegeben werden, braucht es allerdings Mitarbeiter in den kleinen und mittleren Unternehmen im Tourismus, die sie kompetent weitergeben können.
Welche Bereiche sind das?
Das geht über die gesamte Wertschöpfungskette – vom Marketing über die ökologischen Standards der Hotels und Ferienhäuser bis zum Fahrradverleih als umweltschonende Alternative zum Auto. Dies hat man auch auf der politischen Ebene erkannt. Darum wird die Fortbildung aus dem Arbeitsmarktprogramm des Landes Schleswig-Holstein mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Und das finden wir besonders toll. Denn hier wird ein nachhaltiges Wirtschaften zum Wettbewerbsvorteil für Unternehmen.
Warum ist das gerade für die Nordsee-Region so wichtig?
Angestoßen von der Tourismusbehörde Dithmarschen gibt es seit einem Jahr kostenlose Fortbildungskurse für die Tourismusbetriebe an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste zum Thema Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien.
Geleitet wird die Fortbildung vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) in Kiel und der Fachhochschule Westküste in Heide.
Im diesem Frühjahr finden noch vier Module statt, einer Fortsetzung des Fortbildungsangebots ist bereits in Planung. Informieren kann man sich unter www.echt-dithmarschen.de.
An der Nordsee Schleswig-Holstein haben wir es mit zwei Aufgabenfeldern zu tun. Zum einen ist die Region zum großen Teil ländlicher Raum. Hier gibt es wenig hochentwickelte Industrie, der Tourismus hat existenzielle Bedeutung. Zum anderen ziehen viele Menschen, vor allem die Jüngeren, weg in wirtschaftlich stärkere Regionen. Aus diesen beiden Gründen sollen den Fachkräften im Tourismus, die nach wie vor in der Region geblieben sind, bessere Qualifikationsmöglichkeiten geboten werden. Das ist ein nachhaltiger Ansatz, denn unter dem Stichwort Nachhaltigkeit geht es nicht nur um die ökologische Komponente, sondern auch darum, dass regionale Gesellschaften sozial und ökonomisch erhalten bleiben. Ein regional verankerter nachhaltiger Tourismus wirkt als Beschäftigungsmotor. Wenn also kleine Orte und Regionen durch grünen Tourismus am Leben erhalten und funktionierende, generationsübergreifende Lebensstandorte bleiben, ist an Schleswig-Holsteins Nordseeküste viel erreicht.
Was bringt es denn einem Ferienhausvermieter konkret, wenn er Ahnung von Nachhaltigkeit hat?
Unterkunftsanbieter, die nachhaltig wirtschaften, setzen auf Zielgruppen, die relativ lange reisen und relativ viel Geld auf Reisen ausgeben. Wenn man nun auf Nachhaltigkeit im Angebot setzt, geht es um einen zielgruppengerechten Mehrwert für die Gäste. Glaubwürdigkeit entsteht, wenn die Anbieter ihre Gäste durch das Haus führen und ihnen zeigen, was dort alles nachhaltig und ökologisch ist, also vom Ökostrom, der mit dem Windrad um die Ecke produziert wird, bis zur Decke auf dem Sofa, deren Wolle von den Schafen aus dem Dorf kommt.
Man kann mit Nachhaltigkeit also auch Geld verdienen?
Ja, das kann man. Und es fühlt sich auch noch gut an.
49, arbeitet am Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) in Kiel und ist einer der Leiter der Fortbildungskurse zum Nachhaltigkeits- und Erneuerbare-Energien-Scout.
Wie werden die Kurse angenommen? Wer macht dort mit?
Die bisher durchgeführten Veranstaltungen sind sehr gut besucht, die kleinen und mittleren Unternehmen an der Nordsee Schleswig-Holsteins nehmen das Fortbildungsangebot hervorragend an. Das liegt daran, dass eine lebendige Vermittlung tourismus- und nachhaltigkeitsrelevanter Inhalte erfolgt. Zum anderen geht es den nachhaltigkeitsorientierten kleinen und mittleren Unternehmen sehr stark um Kooperation, Zusammenarbeit und Vernetzung.
Wie sieht so eine Kooperation aus?
Ich gebe ihnen ein Beispiel: In einem Modul zur Kommunikation und dem Vertrieb nachhaltiger Urlaubsreiseangebote ging es konkret um das Erlernen technischer Fertigkeit für die Umsetzung des Marketings mit sozialen Medien. Die Teilnehmer möchten hier mehr lernen, aber am liebsten nicht von irgendwem, sondern vor allem auch voneinander. Denn: Gemeinsam will man für dieselben Werte und mit derselben Einstellung handeln.
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