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Feiertage des Bürgersinns

Konzerthaus Gut zwei Monate vor der Elbphilharmonie wurde in Bochum das Anneliese Brost Musikforum eingeweiht. Es war nicht weniger umstritten, hat aber etwa zwanzigmal weniger gekostet

Man soll Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Und will man die Elbphilharmonie mit dem Anneliese Brost Musikforum Bochum vergleichen, dann scheint das vor allem in Sachen Größenordnung unzulässig. Denn der im großen Saal 2.100 Plätze fassende Hamburger Prachtbau samt Kammermusiksaal und Luxushotel ist ein Großprojekt, das am Ende unfassbare 789 Millionen Euro verschlungen hat, während in Bochum 964 Zuschauer Platz finden. Der Bau samt seinem multifunktionalen kleinen Saal und einer zum Foyer umgestalteten Kirche schlug mit gerade einmal 37 Millionen Euro zu Buche.

Hier ein architektonisches Juwel, das als neues Hamburger Wahrzeichen taugt, dort das schlichte Haus, das in Nachbarschaft zum Kneipenviertel „Bermuda-Dreieck“, zum Schauspielhaus und zum Viktoria-Quartier nun eine Bochumer Kulturachse schließt, ein Bürgerzentrum, das sich mit der Basisarbeit der städtischen Musikschule kurzschließt. Trotzdem kann man die Häuser vergleichen, denn beide wurden zäh erstritten. In beiden Fällen ging der Wille zum Konzerthaus von den Bürgern aus und nicht von der Kulturpolitik. Stein und Klang gewordener Bürgerstolz wie in den guten alten Zeiten, als legendäre Musiktempel wie der Wiener Musikverein entstanden?

Keine „Top-down“-Idee

Die Redner beim Festakt zur Einweihung der Hamburger „Elphi“ waren sich in einem einig: Sie blieben auf sympathische Weise auf dem Teppich, auch wenn der neue Prachtsaal sich mit seinem in den Himmel zackenden Dach den Sternen entgegenzurecken scheint.

Bundespräsident Joachim Gauck war zwar in aufgeräumter Stimmung, er ging aber doch noch einmal auf die unselige Baugeschichte ein, um dann zu unterstreichen, dass der Bürgersinn „auch Feiertage braucht“. Wie eine Beschwörung klang es, als er am Schluss dem Bau attestierte, dass er „unserer offenen Gesellschaft entspricht“. Architekt Jacques Herzog betonte, dass „Elphi“ keine „Top-down“-Idee gewesen sei und nun durchweg positiv und nicht als elitär wahrgenommen würde.

Diesen Spagat müssen Konzerthäuser heute offenbar hinkriegen: Tempel der Hochkultur mit ausgefeilter Akustik und edlem Ambiente zu sein und zugleich kommunikativ und niedrigschwellig kulturelle Basisarbeit zu leisten. Auch wenn es im Ruhrgebiet um deutlich weniger Geld ging, wurden die Kontroversen über das Musikforum womöglich mit noch härteren Bandagen geführt als in Hamburg. Kindergartenplätze und Schwimmbäder wurden gegen Kulturinvestitionen in Stellung gebracht, der Bund der Steuerzahler beklagte überflüssige Ausgaben.

17 Jahre lang kämpfte der Chef der Bochumer Symphoniker, Steven Sloane, für die neue Heimat seines Orchesters, das bislang im Schauspielhaus mit staubtrockener Sprechtheater-Akustik oder im Audimax der Ruhr-Uni auftreten musste. Für den neuen Konzertsaal putzte er jahrelang Klinken, bettelte um Geld und um ideelle Unterstützung in der Bürgerschaft.

In der Stadt regte sich sogar ein Bürgerbegehren, das immerhin 15.000 Unterschriften gegen den Bau sammeln konnte. Zudem wurde von Fachleuten bezweifelt, ob in unmittelbarer Nähe zum Konzerthaus Dortmund und zur Philharmonie in Essen ein neuer Konzertsaal wirklich gebraucht würde. Doch dieses Gegenargument greift in Bochum nicht, denn das Musikforum beteiligt sich nicht am internationalen Tourneegeschäft, sondern versteht sich ausschließlich als Haus für die Symphoniker, die Musikschule und die Bochumer Bürger.

Ganz anders die Elbphilharmonie: Sie ist zwar die Heimstatt ihres Residenzorchesters, das sich nun stolz NDR Elbphilharmonie Orchester nennt, aber dieses Ensemble muss sich in dem akustisch heiklen Bau nun mit Weltklasseorchestern messen, die dort gastieren werden. Ob der bislang eher im Mit­telfeld liegende Klangkörper sich zum Publikumsmagnet entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Programmatisch fährt der Hamburger Intendant Christoph Lieben-Seutter ein möglichst breites Angebot. Große Namen werden eingekauft, eine inhaltliche Dramaturgie im Sinne einer schärferen Profilierung ist einstweilen nicht auszumachen. Ob dieses Kalkül auf Dauer aufgeht und der große Saal sich regelmäßig füllt, wenn der erste Hype verflogen ist, wird sich zeigen. Zumal die ehrwürdige Laeiszhalle mit ihren 2.025 Plätzen parallel weiterhin bespielt wird.

Trotz aller Unterschiede: In Hamburg und in Bochum wurden die neuen Konzerthäuser hart erkämpft. Nach vielen Pannen und Widerständen ist in beiden Städten das Gleiche passiert: Die Kritik ist verstummt, allenthalben herrschen Freude und Stolz. Beide Häuser sind für Monate ausverkauft. Weil der Bürgersinn vielleicht tatsächlich die von Gauck beschworenen Feiertage braucht? Vielleicht braucht er einfach nur einen Ort der Selbstvergewisserung. Regine Müller

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