: „Kein Stück über den Islam“
THEATER Der US-Dramatiker Ayad Akhtar über Theater in den USA und Deutschland, die Suche nach Identität und seine Stücke „Geächtet“ und „The Who and the What“
Interview Jens Fischer
taz: Herr Akhtar, ist Theater in den USA eine Kunstform für die gesellschaftlichen Debatten?
Ayad Akhtar: Theater hat in Amerika große Schwierigkeiten, ein populäres Medium zu sein, weil es nicht wie in Deutschland subventioniert wird und für die meisten zu teuer ist. Zudem ist Amerika immer ein Land des Kinos gewesen. Filme gucken ist den meisten sehr vertraut, Theater nicht.
Kann ein Stück dann überhaupt eine politische Bedeutung haben?
Was meinen Sie? Wir werden regiert von einem Regime, das Kunst in der öffentlichen Diskussion für nutzlos hält.
Aber Zuschauer könnten ja trotzdem mit der dramatischen Kunst über Realität nachdenken wollen.
Denken? Wer denkt in Amerika? Schauen Sie sich an, wer gerade zum Präsidenten gewählt wurde. Die Leute denken nicht, die konsumieren, was man ihnen vorsetzt, konsumieren Zufriedenheit, Zerstreuung, Ablenkung von Inhalten.
Werden Ihre Stücke in Deutschland anders aufgeführt?
Das deutsche Theater bietet Räume für konzeptionelles, experimentelles Arbeiten. In Amerika ist meist nur die konservative Illusion von Realität zu erleben, die Aufführungen müssen dort naturalistisch sein. Dass die Dialoge künstlerisch gestaltet sind, darf keiner merken, sie müssen klingen wie gesprochene Sprache. Auf deutschen Bühnen geht es um Inhalte. Die Inszenierungen stellen den Text in den Mittelpunkt und suchen nach ästhetischen Mitteln, ihn zur Wirkung zu verhelfen.
Ihre Stücke spielen in der Upper Class amerikanischer Großstädte. In „Geächtet“ wütet ein Muslim, in „The Who and the What“ eine Muslima gegen den Islam. Ist ihre Situation vergleichbar mit der europäischer Muslime?
Die Unterschiede sind historisch gesehen recht groß. Für Europa war der Islam immer Gegenspieler des Christentums, die Beziehung zu den Muslimen eine antagonistische – von den Kreuzzügen über die Kolonialgeschichte bis heute. Daher wird der Islam in Europa seit jeher verbunden mit Gefühlen wie Gefahr und Bedrohung.
In den USA ist das anders? Auch dort sehen viele heute den Islam als Bedrohung.
Die Muslime der USA haben nichts mit US-Kolonialismus zu tun. Sie sind Immigranten wie alle anderen Immigranten, welcher Religion auch immer. Reibungsflächen entstanden erst durch 9/11. Seither sieht sich die muslimische Bevölkerung im Gegensatz zu den weißen Amerikanern und erlebt Ausgrenzung, Anfeindungen, Zorn. Das wird in Amerika immer schlimmer. Aber es ist bei Weitem noch nicht so schlimm wie in Europa.
Ihre Stücke wirken wie Untersuchungen über die Möglichkeiten muslimischen Lebens in der US-Gesellschaft heute.
Nein, es sind Auseinandersetzungen über das Leben an sich, sie loten seine Dimensionen aus meiner Perspektive aus und die ist definiert durch Erfahrungen, mit denen ich als Muslim groß geworden bin.
Ist das Stück die Beschreibung einer muslimischen Erfahrung?
Muslim zu sein ist in „Geächtet“ eine Metapher dafür, Mensch zu sein. Das versteht hier in Europa nur kaum jemand. Für euch ist die Hauptfigur Amir ein Muslim, der mit seiner Religion abrechnet, für mich ist er eine Figur auf der Suche nach Identität – und nur deswegen Muslim, weil ich Muslim bin und über die gut schreiben kann. Das ist das Dilemma des Stücks und des Protagonisten. Man nimmt ihn nicht als Menschen wahr.
46, ist als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee aufgewachsen und Schriftsteller und Schauspieler. Für sein Stück "Geächtet" bekam er 2013 den Pulitzer-Theaterpreis.
Ist Amir ein Held der Assimilation? Er hat seiner Religion in tiefster Verachtung abgeschworen und möchte als Vorzeigeamerikaner eine tolle Karriere als Anwalt hinlegen.
Er hasst sich selbst, kämpft mit sich, hat eine schwierige Geschichte, die er selbst nicht kennt. Vielleicht gibt es daher diese große Nähe zum Publikum hier, den Deutschen, die sich auch hassen mit ihrer schwierigen Geschichte. Aber Amir ist genauso wenig ein Held wie Ödipus. Der Ausbruch der Gewalt als Klimax der dramatischen Struktur eines Selbstfindungsprozesses ist nicht heroisch. Das ist nur die klassische Struktur der Tragödie, der ich auch für „Geächtet“ folge. Was der tragische Held über sich herausfindet, ist nie heroisch.
In ihren Stücken sind alle Figuren ambivalent angelegt. Nie taugt jemand als positives Identifikationsobjekt.
Ich will meinem Publikum nicht gefallen, es soll meine Charaktere auch nicht mögen oder hassen, die Zuschauer sollen von der Handlung absorbiert, also in die Geschichte der prägnanten, beunruhigenden Widersprüche hineingezogen werden – und zwar in ständiger Neugier, was als nächstes passiert. Das ist gutes Geschichtenerzählen.
Dann ist „The Who and the What“ auch keine innerfamiliäre Auseinandersetzung über den Islam.
Es ist kein Stück über den Islam. Es geht um Tradition und Vertrauen in einer amerikanischen Familie aus islamischer Perspektive.
„The Who and the What“, nächste Aufführungen: Sa, 21. 1., 20 Uhr, Di, 24. 1., 20 Uhr, Di, 31. 1., 20.30 Uhr, Schauspielhaus
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