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Schleswig-Holstein fordert Abschiebestopp

FLÜCHTLINGE Die zweite Sammelabschiebung nach Afghanistan sorgte im Vorfeld für Zündstoff. Am Montag sollte sie stattfinden

Gilt den Behörden als „abschiebefähig“: der afghanische Flüchtling Hasib Afzali in Bayern Foto: Nicolas Armer/dpa

von Daniel Bax

BERLIN taz | Am Montagabend schon sollte der Flieger vom Frankfurter Flughafen starten, um an diesem Dienstag morgens in Kabul zu landen. Doch bis zuletzt hielt die Bundesregierung im Dunkeln, wann und wo genau der Abflug stattfinden würde – „um die Durchführung nicht zu gefährden“, wie es aus dem Innenministerium hieß. Bekannt war bis Montag nur, dass die Länder bis zu 50 ausreisepflichtige Afghanen ausgewählt hätten. Demnach sollte es sich in erster Linie um Straftäter und um allein reisende oder allein stehende Männer handeln, die vor allem aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg kämen.

Die Behörden in Kabul rechneten ab Dienstag mit ihrer Ankunft, hieß es aus der afghanischen Hauptstadt. Doch die zweite Sammelabschiebung nach Afghanistan sorgte schon im Vorfeld in Deutschland für Zündstoff. Erst vor einem Monat hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine erste bundesweite Sammelabschiebung von 34 afghanischen Flüchtlingen veranlasst. Dagegen hatte es am 14. Dezember heftige Proteste gegeben, unter anderem auf dem Frankfurter Flughafen. Das Innenministerium hatte betont, unter den abgeschobenen 34 Afghanen seien auch Straftäter gewesen. Allerdings galt dies nur für eine Minderheit der Betroffenen. Später stellte sich heraus, dass sich darunter auch Afghanen, die seit Jahren unbescholten in Deutschland lebten, sowie Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten befanden.

Kurz darauf publizierte das UN-Flüchtlingshilfswerk ­UNHCR einen Bericht, nach dem sich die Lage in Afghanistan „noch einmal rapide verschlechtert“ habe. Konflikte hätten sich in den vergangenen Monaten verschärft, die Zahl der Opfer sei gestiegen. Das gesamte Staatsgebiet sei letztlich „von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen“, es gebe keine sicheren Regionen mehr. Allein im ersten Halbjahr 2016 wurden 1.601 zivile Tote und 3.565 verletze Zivilpersonen dokumentiert.

In der Flüchtlingshilfe engagierte Verbände wie Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband fordern deshalb einen sofortigen Abschiebestopp für afghanische Flüchtlinge. Die bevorstehende Sammelabschiebung sei inhuman und „zynisch“, erklärten die beiden Hilfsorganisationen am Montag. Die Abschiebung in ein Kriegs- und Krisengebiet mit Billigung von Landespolitikern aus CDU, SPD und Grünen sei ein „Tabubruch“, so Pro Asyl.

Zumindest bei Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt stießen sie damit auf ein offenes Ohr. Eine Rückkehr nach Afghanistan „in Sicherheit und Würde“ sei derzeit nicht gewährleistet, sagte der SPD-Politiker am Montag den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Mit Verweis auf den UNHCR plädiert Studt für einen Abschiebestopp nach Afghanistan – und stellt sich damit gegen seine Parteispitze. Die fürchtet mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen im Mai in Schleswig-Holstein um ihre Wahlchancen, wenn sie hier eine weiche Linie vertritt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hält einige Gebiete in Afghanistan für sicher und stuft rund 12.500 afghanische Flüchtlinge prinzipiell als „ausreisepflichtig“ ein. Mehr als 10.000 von ihnen verfügen aber über eine Duldung und dürfen wegen einer schweren Krankheit oder fehlender Papiere vorerst in Deutschland bleiben. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken vom November 2016 hervor.

SPD-Innenminister Stefan Studt stellt sich damit gegen seine Parteispitze

Linkspartei und Grüne fordern von de Maizière, die Sicherheitslage in Afghanistan grundsätzlich neu zu bewerten. Die Grünen sind derzeit in elf Landesregierungen vertreten. Zehn von ihnen hatten sich in der vergangenen Woche in einem umstrittenen Positionspapier nicht grundsätzlich gegen Abschiebungen nach Afghanistan gestellt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa vertritt den Standpunkt, die Länder hätten hier nur wenig Ermessensspielraum. Später drängten allerdings mehrere Grünen-Politiker darauf, Abschiebungen nach Afghanistan mit Blick auf den aktuellen UNHCR-Bericht bis auf Weiteres auszusetzen. Dies ist auch der Tenor eines Beschlusses der NRW-Grünen.

In Hamburg drängen Diakonie und Caritas den Senat dazu, einen eigenständigen Abschiebestopp für Afghanen zu verfügen. In der Stadt lebt mit rund 12.000 Menschen die größte afghanische Gemeinschaft in Deutschland.

Auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, und andere SPD-Politiker sehen die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat kritisch. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich bislang dazu noch nicht geäußert. Am Montag hatte er aber Gelegenheit dazu: Da sollte er den Internationalen Willy-Brandt-Preis an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR verleihen. Was er dort sagte, war bis Redaktionsschluss noch offen.

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