Die Wahrheit: Eine Lanze für den Floh

„Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung“ widmet sich in der 23. Folge der gar nicht lausigen „Siphonaptera“.

ein Sandfloh

Dieser Sandfloh ist am allerliebsten in Polargewässern unterwegs Foto: ap

„Die Flöhe sind seit langer Zeit Gegenstand der verschiedenartigsten Untersuchungen gewesen: man hat sie vom philologischen und vom satirischen Standpunkte aus beleuchtet, man hat sie wegen ihrer lustigen Sprünge besungen und noch häufiger wegen ihres Blutdurstes verwünscht, man hat sie ‚abgerichtet‘ und so aus ihnen Gewinn zu ziehen gewußt, nur gerade der Zoologe hat ihnen bisher nicht in der gebührenden Weise seine Beachtung geschenkt“, schrieb der Parasitologe E. O. Taschenberg 1880.

Der jüngste Flohüberfall geschah im Sommer 2016 in einem Celler Pflegeheim, wo die Bewohner rote, juckende Punkte auf der Haut bekamen. Die Feuerwehr löste Großalarm aus: Sie riegelte den Ort hermetisch ab – bis die medizinische Hochschule Hannover Entwarnung gab: Flohbisse seien zwar unangenehm aber keine Lebensbedrohung.

Das Internetforum heilpraxis erklärt dazu: „Der Speichel des Flohs verhindert, dass das Blut gerinnt. Durch diese Sekrete entzünden sich die Stichstellen und jucken. Wird der Floh gestört, hüpft er ein Stück weiter, sodass die Einstiche sich aneinander reihen“ – meistens sind es wie bei den Wanzenstichen drei. Warum immer drei, weiß kein Mensch!

Das Berliner Naturkundemuseum gab jüngst bekannt, seine Flohsammlung umfasse 237 Arten. Im Berliner Tieranatomischen Theater und im Wittstocker Museum des Dreißigjährigen Krieges sah ich Pestflöhe unter dem Mikroskop.

Der derzeitige Wissensstand über die hiesigen Flöhe basiert in erster Linie auf den ökologisch-faunistischen Arbeiten von Peus (zuletzt 1972), heißt es bei der Frankfurter Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Ergänzende Arbeiten erscheinen danach hauptsächlich für einzelne Bundesländer. Die jüngste faunistische Übersicht für das gesamte Deutschland datiert mit Kutzscher & Striese auf das Jahr 2003.

Der Floh als Fluginsekt

Lebend sind diese flügellosen Insekten, die man paradoxerweise zu den „Fluginsekten“ zählt, äußerst selten geworden. Selbst die Flohzirkusse sind fast ausgestorben – bis auf einen, der alljährlich auf dem Münchner Oktoberfest gastiert, wo sich die Kinder unter den Besuchern oft darüber entrüsten, dass diese winzigen Tierchen so große Kutschen ziehen müssen. Gelegentlich importieren Reisende von „Flohmärkten“ im Ausland einige „Siphonaptera“, so der wissenschaftliche Name. Sie werden bei uns aber nicht alt.

Kriegen Wasserflöhe Kaffee, hören sie gar nicht mehr auf, sich zu paaren

Die Senckenberg’schen Naturforscher erwähnen die „sogenannten Sandflöhe“, die in tropischen Ländern die Füße von Warmblütern befallen und dabei die „Tungiasis“ übertragen. Dieser Gefahr setzte sich die Berliner Sandflohforscherin Marlene Thielecke 2011 in Madagaskar und Kenia aus, war aber anders als die Einheimischen dank einer Tetanusspritze geschützt: „Als ich den Floh zufällig entdeckte, hatte er sich schon mit seinem ganzen Körper kopfüber in meine Haut gebohrt. Zuerst war er nur ein winziger roter Punkt in der Mitte meiner Fußsohle. Dann ist er Tag für Tag ein bisschen gewachsen, bis er sich als erbsengroße, druckempfindliche Erhebung abzeichnete: der Sandfloh oder in schlau: Tunga penetrans. Er setzt sich wochenlang fest, am liebsten an Ferse und Spann oder unter den Zehennägeln, um dort seine Eier reifen zu lassen. Eigentlich sollte ich ‚sie‘ sagen, denn das machen nur die Flohweibchen.“

Für die Humanmedizinerin ist die Infektion durch den Sandfloh eine „Armutskrankheit: Damit lässt sich kein Geld machen, also investiert auch die Pharmaindustrie nicht in Forschung und Medikamente. Ich wusste: Hier kann man noch vieles herausfinden und bewirken.“

Die US-Ökologen Masello und Quillfeldt fanden in Patagonien, unter den Parasiten von Felsensittichen, eine extravagante Flohart, die an den Küken in deren Nasenhöhlen und unter der Zunge parasitiert. Mich haben schon mehrmals Hunde- und Katzen-Flöhe gestochen, aber sie ließen schnell wieder von mir ab. Mein „Lebenssaft“ (Schiller) wirkt bei ihnen empfängnisverhütend, wie die Biologin Lisa Signorile nahelegt, wenn sie schreibt: „Unser Blut stillt ihren Hunger, schmälert aber die Fruchtbarkeit und die Zahl der abgelegten Eier“ (in: „Mißgeschicke der Evolution“ 2012).

Der Floh und sein Wirt

Sie fand auf einigen Katzen alle drei Arten: Katzen-, Hunde- und Menschenflöhe. „Unsere“ sind mit den Schweineflöhen identisch. Bei Wikipedia heißt es, dass „Flöhe zwar Vorlieben für bestimmte Wirtstiere haben, aber nicht ausschließlich auf diese angewiesen sind. Vielmehr scheinen sie eine größere Bindung zu ihren Nestern zu haben als zu ihren Wirten.“ Und die „Nester“ finden Flöhe außerhalb ihrer Wirte (in Polstermöbeln etwa), was deren Domestikation und Seßhaftwerdung geschuldet ist: Ihre Wirte laufen ihnen nicht weg.

Als diese noch nomadische Viehzüchter waren, mussten die Flöhe in deren Kleidung beziehungsweise im Fell derer Tiere mitwandern. Für alle gilt, dass sie das Blut von jungen Warmblütern besonders bekömmlich finden, denn sie dringen mit ihrem zu einem Stechrüssel umgewandelten Mund leichter durch deren noch dünne Haut. In einer Hamburger Schule bewiesen sie 2005, dass sie auch zählen können: Über 100 Flohweibchen überfielen dort wie ausgehungert 110 Schüler, die dann von der verzweifelten Leitung nach Hause geschickt wurden.

Ein Sprecher der Bildungsbehörde versicherte damals: „Ein Befall in diesem Ausmaß ist sehr ungewöhnlich – zumal im November.“ Außerdem wurden zwar jede Menge Flohstiche identifiziert, aber kein einziger Floh gefunden. Man forderte daraufhin die Eltern auf, bei sich zu Hause nach den Tieren zu fahnden.

Meist ruft man heute bei Floh­alarm den US-Weltkonzern „Rentokil“ – danach traut sich lange Zeit kein Floh mehr ins Gebäude. 1998 demonstrierten ostdeutsche Kammerjäger in Berlin gegen diese ausländische Konkurrenz, die ihren „Lehrberuf“ entwertete, indem sie straflos ungelernte Ungeziefervernichter einstellte.

Einer der ostdeutschen „Außendienstmitarbeiter“ erzählte mir, als ich das Gespräch auf Flöhe brachte: „Man kann sie kaum zerdrücken, sie haben einen sehr harten Chitinpanzer, man muss sie mit dem Fingernagel zerknacken. Und erst mal fangen. Sie können in Bruchteilen einer Sekunde losspringen – 30 Zentimeter weit, und das ununterbrochen: tagelang. Ihre Sprünge werden durch die umfunktionierten Flugmuskeln ausgelöst … Aber gegen unsere chemischen Mittel nützt ihnen das alles nichts.“

Auch im Internet erfährt man eher was über das Wie und Wo ihrer Vernichtung, als über das, was sie sonst so treiben. Aber so ist das immer in Deutschland: Wenn man über Parasiten spricht, geht es stets um deren „Bekämpfung“. In Frankreich vermutet man hingegen erst einmal, dass „parasitäre Verhältnisse das System selbst sind“, wie der Philosoph Michel Serres es einmal ausdrückte. Er scheint ein ähnlich sympathisierendes Verhältnis zu Flöhen zu haben wie ich. Zum einen nannte meine erste Freundin mich „Floh“ und zum anderen besaß ich ein Aquarium und musste für die Fische laufend Wasserflöhe fangen. Sie hüpften auch unter Wasser und erfreuten mich mit ihrer Munterkeit.

Ein Gymnasiast in Ratingen, Lukas Schier, hat unlängst entdeckt, dass sie mit Kaffee noch munterer werden: „Sie hören gar nicht mehr auf, sich zu paaren“, berichtete er der Westdeutschen Zeitung.

Die Haustier- und Menschenflöhe paaren sich auch ohne Kaffee exzessiv: „Unter einer halben Stunde ist die Verpaarung nicht fruchtbar“, sagt die Biologin Signorile. Nicht zuletzt, weil die männlichen Flöhe „die komplexesten Genitalien des gesamten Tierreichs“ besitzen, und das Paar vorher eine anständige „Blutmahlzeit“ zu sich genommen haben muss – sonst läuft da gar nichts.

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