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geht's nochGelebte Straßenkultur

In Hamburg will das Bezirksamt Mitte den Alkoholverkauf in den besonders beliebten Gegenden einschränken

Als Ende November öffentlich wurde, dass der Leiter des Hamburger Bezirksamts Mitte, Falko Droßmann (SPD), an einem Entwurf für ein temporäres Alkoholverbot an Kiosken arbeitet, ärgerten sich viele: überzeugte ­Kiosk-NutzerInnen, die um ihren Lieblingskiosk fürchteten. Nicht zuletzt das Bezirksamt selbst, weil der unfertige Entwurf noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Aber am meisten ärgerten sich offenbar BarbesitzerInnen, DJs und andere MitarbeiterInnen von Gastronomiebetrieben. Nicht über den Vorstoß natürlich, der ihnen ja zugute kommen soll.

GastronomInnen klagen schon länger über einbrechende Umsätze im Sommer, weil die Leute ihre Getränke lieber für ein Drittel des Preises am Kiosk kaufen. Wer will sich schon in geschlossene Räume drängen und draufzahlen, wenn man draußen für weniger Geld das gleiche haben kann? Viele scheinen sich an den Argumenten gegen das Alkoholverbot am Kiosk zu stoßen. An einem Plädoyer für das Cornern, wie man das Rumhängen und Trinken am Kiosk derweil nennt, entspann sich ein Streit unter AnwohnerInnen, AktivistInnen und in sozialen Netzwerken.

„Ach, und wo gehst du pinkeln? Dazu sind die Bars dann gerade noch gut genug“, schrieb eine UserIn auf Facebook. „Ich hoffe, du lässt wenigstens 50 Cent da für die arme Frau, die die Toilette putzt. Ach nee, das ist ja schon ein halbes Bier am Kiosk“, ergänzte einer, der in einer Szenebar arbeitet. Ein DJ kommentierte den Pro-Corner-Artikel mit den Worten: „Du warst immer ein gern gesehener Gast, aber mit dieser Einstellung brauchst du zu unseren Partys nicht mehr zu kommen.“

Nicht nur bei Facebook wurde kontrovers über das Draußenbiertrinken diskutiert – auch in der AktivistInnen-Szene des „Recht auf Stadt“-Netzwerks hatten im Sommer Diskussionen über das Cornern für Uneinigkeit gesorgt. Auf der einen Seite beschwerten sich AnwohnerInnen über die Verdrängung aus den gentrifizierten Szenevierteln durch ein rücksichtsloses Partypublikum. Lärm bis spät in die Nacht, vollgepisste Vorgärten, Müll und Scherben rund um die Kioske tragen nicht gerade zur Lebensqualität bei. Ein Kiosk in guter Lage kann NachbarInnen schon mal den Schlaf rauben. Auf der anderen Seite proklamierten überzeugte CornerInnen das Recht auf öffentlichen Raum für sich.

Der Kiosk ist ein sozialer Ort: Für all jene, die nicht überall willkommen sind, weil sie nicht zahlungskräftig genug sind, erfüllt er eine wichtige Funktion. Ohne Konsumzwang ist man mitten im Nachtleben. Man trifft Leute, ohne sich verabreden zu müssen.

An lauen Sommerabenden herrscht am Grünen Jäger, dem beliebtesten Cornerspot in Hamburg, Festivalstimmung. Mädels und Jungs stehen hier oft mit engen Jeans und bunten Sneakern herum, manche tragen dicke Goldketten und Sonnenbrillen auf dem Kopf, rollen lässig auf ihren Skateboards vorbei oder schieben ihre Rennräder neben sich her.

Ein Alsterwasser am Kiosk, ein Longdrink vor der Bar, ein Weißwein im Plastikglas, yeah. Dass die Szenebars leer bleiben, ist nur traurig, wenn man sich nicht für die Kioske freuen kann, die häufig von Migrantenfamilien betrieben werden und so dicke Umsätze einfahren. So funktioniert halt der Kapitalismus: Wer das bessere Angebot hat, macht den größeren Gewinn. Wer sich entschieden hat, eine Bar zu führen, hat sich für diese Spielregeln entschieden –und darf sich folglich nicht beschweren, dass er dabei auch verlieren kann.

Das Cornern ist gelebte Straßenkultur. Es entstand im New York der späten 70er-Jahre in der Hip-Hop-Kultur: Schwarze Unterschichtenkids trafen sich an Straßenecken und in U-Bahn-Unterführungen zum Freestylen und Breakdancen. Sie eroberten sich einfach den Raum im urbanen Zentrum zurück, der für sie längst nicht mehr vorgesehen war. So entwickelte sich eine Subkultur, die Generationen prägte und die wesentlich für die Emanzipation von MigrantInnen war.

Auch wenn die Leute, die heute in Bremen am Sielwall­eck oder in Hamburg am Pferdemarkt cornern, andere sind: Das Prinzip ist dasselbe. Es geht darum, sich die Straße zu nehmen, zum Rumhängen, Trinken und um sich zu treffen. Dieses Recht steht allen zu –man sollte es sich auf keinen Fall nehmen lassen.Katharina Schipkowski

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